Europäische Bürgerinitiative kommt Anfang 2012
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Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon haben die BürgerInnen in der Europäischen Union erstmals ein direktes Mitspracherecht erhalten und können sich direkt an der Politikgestaltung beteiligen. Gemäß Art. 11 Abs. 4 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) können 1 Million Unions-BürgerInnen, die aus einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten kommen müssen, ..."die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen".
Im gleichen Absatz und gem. Art. 24 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) müssen das Europäische Parlament und der zuständige Ministerrat durch eine Verordnung über die Durchführungsregelungen für eine Europäische Bürgerinitiative entscheiden. Den Vorschlag für eine solche Verordnung muss die Europäische Kommission vorlegen.
Nach Vorlage eines sog. "Grünbuchs", in dem die Europäische Kommission ihre Vorstellungen zur Ausgestaltung darlegte, wurde eine europaweite öffentlichen Konsultation von Ende 2009 bis Anfang 2010 über die Ausgestaltung von Grundregeln und Verfahren zur Durchführung der Europäischen Bürgerinitiative durchgeführt. Unter Berücksichtigung der im Rahmen der Konsultation gemachten Vorschläge und Anregungen hat die Europäische Kommission am 31.03.2010 einen Vorschlag für eine Verordnung zur Europäischen Bürgerinitiative vorgelegt.
Am 15.12.2010 haben sich nach eingehender Debatte das Europäische Parlament und der Ministerrat auf die Durchführungsregelungen für die Europäische Bürgerinitiative geeinigt. Die verabschiedeten Rechtsvorschriften sollen ein Jahr nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten, so dass die ersten Bürgerinitiativen Anfang 2012 anlaufen können.
Der für Interinstitutionelle Beziehungen und Verwaltung zuständige Kommissar und Vize-Präsident der Europäischen Kommission, Maros Sefcovic, sagte zur erzielten Einigung: "Die Europäische Bürgerinitiative wird eine völlig neue Form der partizipatorischen Demokratie in der EU einführen. Sie bedeutet einen wichtigen Fortschritt im demokratischen Leben der Union und ist ein konkretes Beispiel dafür, wie Europa seinen Bürgern näher gebracht wird".
Ausgestaltung der Europäischen Bürgerinitiative
Nach der erzielten Einigung zwischen Europäischem Parlament und Rat muss eine solche Initiative von mindestens einer Million BürgerInnen aus mindestens einem Viertel der EU-Mitgliedstaaten (=7 Mitgliedstaaten) unterstützt werden. Es muss zur Durchführung ein Bürgerausschuss eingerichtet werden, der aus mindestens sieben BürgerInnen aus mindestens sieben EU-Mitgliedstaaten besteht. Die Mitglieder dieses Bürgerausschusses müssen UnionsbürgerInnen sein, d.h. die Staatsangehörigkeit eines der 27 EU-Mitgliedstaaten haben und das für Europawahlen erforderliche Wahlalter haben (in 26 Mitgliedstaaten Vollendung des 18. Lebensjahres, nur in Österreich 16. Lebensjahr). Die Organisatoren müssen einen Vertreter und einen Stellvertreter benennen, die beauftragt werden und befugt sind, während der gesamten Dauer des Verfahrens im Namen des Bürgerausschusses zu sprechen und zu handeln (sog. "Kontaktpersonen").
In jedem EU-Mitgliedstaat wird die Mindestzahl der benötigten Unterschriften berechnet, indem man die Anzahl der Abgeordneten im Europäischen Parlament mit 750 multipliziert (für Deutschland 99 Sitze x 750 = 74.250 Stimmen). Das Mindestalter der UnterstützerInnen einer Bürgerinitiative entspricht dem Alter, das zur Beteiligung an der Wahl zum Europäischen Parlament in dem betreffenden Mitgliedstaat berechtigt. Die Europäische Kommission muss geplante Bürgerinitiativen in einem eigens dafür bereitgestellten Online-Register einstellen. Die Registrierung kann verweigert werden, wenn die Initiative eindeutig gegen die Grundwerte der Europäischen Union verstoßen (z.B. demokratiefeindlich, rassistisch ausgerichtet) oder die Kommission den geforderten Rechtsakt nicht vorschlagen kann, weil das Vorhaben nicht in ihrer Kompetenz liegt.
Die Unterstützungsbekundungen können entweder in Papierform oder elektronisch gesammelt werden. Die Europäische Kommission wird in der verbleibenden Zeit bis Anfang 2012 eine eigene und sichere Open-Source-Software einsetzen und kostenlos zur Verfügung stellen.
Nach der Registrierung des Gesetzgebungsvorschlags haben die Initiatoren ein Jahr Zeit, um die erforderliche Anzahl von Unterschriften zu sammeln.
Wenn die erforderliche Anzahl von Stimmen in den teilnehmenden neun EU-Mitgliedstaaten vorliegt, wird die Initiative von den betreffenden Regierungen geprüft und dann der Europäischen Kommission vorgelegt.
Behandlung durch die Europäische Kommission
Die Europäische Kommission hat nach Einreichung der Bürgerinitiative drei Monate Zeit, diese auf ihre Zulässigkeit zu prüfen und über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Während dieses Zeitraums werden die Initiatoren von der Europäischen Kommission eingeladen, um ihr Anliegen persönlich vorzubringen und erhalten zusätzlich die Gelegenheit, ihr Vorhaben im Rahmen einer öffentlichen Anhörung vor dem Europäischen Parlament zu erläutern.
Spätestens nach drei Monaten wird die Europäische Kommission ihre Entscheidung öffentlich darlegen, d.h. entweder begründen, warum sie die vorgebrachte Initiative nicht aufgreifen will oder kann oder das Rechtsvorhaben mit den vorgesehenen Maßnahmen öffentlich darlegen. Gegen die ablehnende Entscheidung der Europäischen Kommission, eine Initiative aufzugreifen, kann kein Rechtsbehelf eingelegt werden.
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