Versorgungssicherheit mit Energie in der EU
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Vorschläge der Europäischen Kommission zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit Energie im Winter 2022 – SoS-Verordnung zur solidarischen Versorgung mit Gas in der EU
Am 18.Oktober 2022 hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weitere Vorschläge vorgestellt, die die hohen Gaspreise bekämpfen und die Versorgungssicherheit in der EU im Winter gewährleisten sollen. Eine Dringlichkeits-Verordnung sieht vor:
- Eine gemeinsame Gasbeschaffung
- Einen Preisbegrenzungsmechanismus an der Title Transfer Facility (TTF)-Gasbörse (virtueller Handelspunkt im niederländischen Gasmarkt) und
- Neue Maßnahmen zur transparenten Infrastrukturnutzung und zur Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten
Neben der Dringlichkeitsverordnung hat die Europäische Kommission am selben Tag auch einen Aktionsplan vorgelegt, um aufzuzeigen, wie neue Technologien dazu beitragen können, die effiziente Nutzung von Energieressourcen zu verbessern, die Einspeisung erneuerbarer Energien ins Netz zu erleichtern und Kosten für Verbraucher/innen und Energieunternehmen in der EU zu senken. Die Kommission legt darin Maßnahmen für eine verstärkte gemeinsame Datennutzung, zur Förderung von Investitionen in die digitale Strominfrastruktur, zur Gewährleistung von Vorteilen für die Verbraucher/innen und zur Stärkung der Cybersicherheit vor.
In der Dringlichkeitsverordnung schlägt die Europäische Kommission drei grundlegende Elemente vor:
- Bündelung der Nachfrage in der EU und gemeinsame Gasbeschaffung, um bessere Preise auszuhandeln und das Risiko zu verringern, dass sich die Mitgliedstaaten auf dem Weltmarkt gegenseitig überbieten, bei gleichzeitiger Gewährleistung der Versorgungssicherheit in der gesamten EU;
- Ausarbeitung eines neuen Referenzwerts für die LNG (Flüssiggas-)Bepreisung bis März 2023 und kurzfristig Vorschlag eines Preiskorrekturmechanismus zur Festlegung einer dynamischen Preisgrenze für Transaktionen an der Title Transfer Facility (TTF)-Gasbörse sowie befristete Festsetzung eines Preiskorridors bzw. einer Preisspanne, um extreme Preisspitzen auf Derivatemärkten zu verhindern;
- standardmäßige Solidaritätsregelungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten im Falle von Versorgungsengpässen mit Ausweitung der Solidaritätspflicht auf Mitgliedstaaten ohne direkte Pipeline-Verbindung, damit auch die Mitgliedstaaten mit LNG-Anlagen einbezogen werden; Vorschlag zur Schaffung eines Mechanismus für die Gaszuteilung an Mitgliedstaaten, die von einer regionalen oder EU-weiten Notsituation im Bereich der Gasversorgung betroffen sind.
In Verbindung mit bereits früher vereinbarten Maßnahmen zur Senkung der Gas-und Stromnachfrage, zur Gasspeicherung und zur Umverteilung von Übergewinnen im Energiesektor sollen die Maßnahmen der Dringlichkeitsverordnung nicht nur in diesem Winter, sondern auch darüber hinaus für mehr Stabilität auf den europäischen Gasmärkten sorgen, d.h. den Preisdruck weiter vermindern und für Versorgungssicherheit sorgen. Weitere Pläne der Europäischen Kommission sind:
- Die Überarbeitung des befristeten Krisenrahmens für staatliche Beihilfen bis zum Ende des Monats
- Die Stärkung der finanziellen Schlagkraft bei REPowerEU
- Gezielte und flexible Einsetzung der EU-Kohäsionsfondsmittel (bis zu 10 Prozent der gesamten nationalen Mittelzuweisungen für den Programmzeitraum 2014 -2020 in Höhe von 40 Mrd. Euro).
Gemeinsame Gasbeschaffung
Die Europäische Kommission betont, dass die EU bei der Befüllung der Gasspeicher für diesen Winter große Fortschritte gemacht habe, inzwischen sei ein Füllstand von mehr als 92 Prozent erreicht. Um möglichen weiteren Störungen zu begegnen, schlägt sie ein neues Rechtsinstrument für die gemeinsame Gasbeschaffung vor, mit dem die Kommission einen Dienstleister damit beauftragen könnte, die Nachfragebündelung auf EU-Ebene zu organisieren, den Bedarf an Gasimporten zusammenzuführen und auf dem Markt nach Angeboten zu suchen, die der Nachfrage entsprechen. In diesem Zusammenhang schlägt die Kommission eine verpflichtende Beteiligung der Unternehmen in den EU-Mitgliedstaaten an der EU-weiten Nachfragebündelung vor, d.h. die Unternehmen müssten dann mindestens 15 Prozent ihrer Einspeicherziele über diesen Mechanismus erreichen. Den Unternehmen wäre aber gestattet, im Einklang mit den EU-Wettbewerbsvorschriften ein europäisches Gasbeschaffungskonsortium zu bilden.
Ziel dieser vorgeschlagenen Maßnahme ist, kleineren EU-Mitgliedstaaten und insbesondere kleineren Unternehmen, die als kleine Käufer in einer schwachen Position sind, zu helfen, bessere Bedingungen für die Gaslieferung auszuhandeln. Daher enthalte die Dringlichkeitsverordnung auch Bestimmungen für mehr Transparenz bei geplanten und abgeschlossenen Gaskäufen, damit bewertet werden könne, ob die Ziele der Versorgungssicherheit und der Energiesolidarität erreicht wurden. So solle vor jedem Abschluss eines Gaskaufs oder einer Vereinbarung über ein Volumen von mehr als 5 Terrawattstunden (ca. 500 Mio. Kubikmeter) die Europäische Kommission unterrichtet werden, um dann evtl. eine Empfehlung abgeben zu können, falls sich der Kauf negativ auf die gemeinsame Beschaffung, den EU-Binnenmarkt, die Versorgungssicherheit oder die Energiesolidarität auswirken könnte.
Deckelung hoher Preise an den Gasbörsen
Die Europäische Kommission stellt fest, dass seit dem Höchststand im Sommer 2022 die Großhandelspreise zwar gesunken seien, doch für eine wachsende Zahl von Europäer/innen und auch Unternehmen seien sie nach wie vor unhaltbar hoch. Daher schlägt die Kommission eine gezieltere Intervention bei den Preisen
auf den Gasmärkten vor; viele Gasverträge in Europa seien an die wichtigste europäische Gasbörse, die TTF, gekoppelt, die den Preis von LNG-Transaktionen in der EU nach Ansicht der Kommission jedoch nicht mehr korrekt wiederspiegeln würden. Die Kommission entwickele daher zusammen mit der ACER (Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, englisch Agency for the Cooperation of Energy Regulators) einen neuen ergänzenden Referenzwert, der eine stabile und berechenbare Preisgestaltung für LNG-Transaktionen ermöglichen soll. Gemäß der vorgeschlagenen Verordnung würde die Kommission die ACER damit beauftragen, ein Instrument zur objektiven Bewertung der Tagespreise zu entwickeln und anschließend einen Referenzwert festzulegen, der von den Energiemarktbetreibern zur Indexierung des Preises in ihren Gasverträgen herangezogen werden könnte.
In der Zwischenzeit schlägt die Kommission vor, einen Mechanismus zur Begrenzung der Preise über die TTF einzurichten, der bei Bedarf ausgelöst werden soll. Mit dem Preiskorrekturmechanismus würde vorübergehend eine dynamische Preisgrenze für Transaktionen an der TTF festgelegt. Transaktionen zu einem Preis über der dynamischen Obergrenze wären an der TTF dann nicht zulässig. Dies soll dazu beitragen, extreme Volatilität und überhöhte Preise zu vermeiden. Um übermäßige Preisvolatilität zu begrenzen und extreme Preisspitzen auf den Märkten für Energiederivate zu verhindern, schlägt die Kommission außerdem vor, einen neuen befristeten Preiskorridor zur Begrenzung von Preisspitzen innerhalb eines Tages einzuführen, der von den EU-Derivatebörsen festzulegen wäre. Dadurch wären Energieunternehmen vor großen Preisschwankungen innerhalb eines Tages geschützt.
Um Liquiditätsengpässe zu verringern, mit denen viele Energieunternehmen derzeit bei der Erfüllung ihrer Einschussforderungen bei der Nutzung von Derivatemärkten konfrontiert sind, hat die Kommission am selben Tag neue Vorschriften für Marktteilnehmer angenommen, mit denen die Liste der anerkennungsfähigen Sicherheiten vorübergehend auf unbare Sicherheiten, einschließlich staatlicher Garantien, ausgeweitet wird. Zudem hat die Kommission neue Vorschriften erlassen, mit denen die Clearingschwelle von 3 Milliarden Euro auf 4 Milliarden Euro angehoben wird. Unterhalb dieser Schwelle unterliegen nichtfinanzielle Unternehmen keinen Einschussforderungen für ihre OTC-Derivate (außerbörslich gehandelte Derivate).
Die Europäische Kommission zeigt sich überzeugt, dass beide Maßnahmen den Unternehmen dringend benötigte Erleichterungen bieten und gleichzeitig die Finanzstabilität wahren werden. Die Einführung dieser Maßnahmen erfolge nach umfassenden Konsultationen mit europäischen und nationalen Regulierungsbehörden sowie mit Interessenträgern und Marktteilnehmern. Schließlich würden die ACER und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) ihre Zusammenarbeit verstärken, indem sie als Vorsichtsmaßnahme zum Schutz der Marktstabilität eine neue gemeinsame Taskforce einrichten, um ihre Kapazitäten zur Überwachung und Aufdeckung möglicher Marktmanipulationen und möglichen Marktmissbrauchs auf den europäischen Spot- und Derivatemärkten für Energie zu stärken.
Solidarität und Nachfragesenkung
Die Kommission macht deutlich, dass sie die Maßnahmen zur Senkung der Nachfrage genau beobachte. Eine vorläufige Analyse auf der Grundlage der Berichterstattung der EU-Mitgliedstaaten zeige, dass der Gasverbrauch in der EU im August und September wohl rund 15 Prozent unter dem Durchschnitt der vorangegangenen fünf Jahre gelegen habe. Um die Verordnung des Rates einzuhalten, würden in jedem Monat bis März 2022 ähnliche Anstrengungen erforderlich sein; die Mitgliedstaaten sind daher aufgefordert, alle zwei Monate über ihre Fortschritte zu berichten. Die Kommission sei bereit, den EU-Alarm auszulösen oder diese Ziele zu überprüfen, wenn sich die derzeitigen Maßnahmen als unzureichend erweisen würden.
Um besser auf eventuelle Notsituationen vorbereitet zu sein, schlägt die Kommission auch Maßnahmen vor, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen soll, den verzichtbaren Verbrauch weiter zu verringern, um sicherzustellen, dass Erdgas für wesentliche Dienstleistungen und Industrien bereitgestellt wird, und um den solidarischen Schutz auf Gasmengen auszuweiten, die für die Stromerzeugung erforderlich sind. Diese Maßnahmen dürften sich aber keinesfalls auf die Versorgung der Haushalte – bei denen es sich um schutzbedürftige Kunden handelt – auswirken.
Da nicht alle EU-Mitgliedstaaten die erforderlichen bilateralen Solidaritätsvereinbarungen abgeschlossen haben, schlägt die Kommission hier vor, Standardregelungen festzulegen. Dadurch werde sichergestellt, dass jeder Mitgliedstaat im Notfall gegen einen fairen Ausgleich Gas von anderen Mitgliedstaaten erhalten könne. Die Solidaritätspflicht werde auf nicht angeschlossene Mitgliedstaaten mit LNG-Anlagen ausgeweitet, sofern das Gas in den Mitgliedstaat transportiert werden kann, in dem es benötigt wird. Um die LNG- und Pipeline-Infrastruktur bestmöglich zu nutzen, schlägt die Kommission neue Instrumente zur Bereitstellung von Informationen über die verfügbare Kapazität sowie neue Mechanismen vor, um zu verhindern, dass Marktteilnehmer Kapazitäten reservieren, aber nicht nutzen. Angesichts der mutmaßlichen Anschläge auf die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 legt die Kommission zusätzlich heute einen Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zum Schutz kritischer Infrastruktur vor.
SoS-Verordnung der Europäischen Kommission zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung in der EU
Bereits 2017 hatten die EU-Mitgliedstaaten auf Initiative der Europäischen Kommission die Regelung zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung (Security of Supply = SoS) verabschiedet. Das Gesetz sieht bei Engpässen die gegenseitige Lieferung von Erdgas über einen Solidaritätsmechanismus vor; so hat die Bundesrepublik Deutschland entsprechende bilaterale Verträge mit Österreich und Dänemark abgeschlossen und ist zusätzlich mit Tschechien im Gespräch.
Zudem haben die USA der Europäischen Union zugesagt, in 2022 zusätzlich mindestens 15 Mrd. m³ LNG zur Verfügung zu stellen.
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