Frankreich übernimmt im 1. Halbjahr 2022 die Ratspräsidentschaft in der EU
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Zum 01. Januar 2022 hat Frankreich zum 13. Mal die sechsmonatige Ratspräsidentschaft in der EU übernommen und löst damit Slowenien ab. Der Vorsitz im Rat der EU-Mitgliedstaaten wechselt alle sechs Monate, während dieser Zeit leitet das Land das den Vorsitz inne hat, die Sitzungen der Ministerräte, die Tagungen des Europäischen Rates (Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs) und sorgt für eine fortlaufende Bearbeitung der im Rahmen eines 18monatigen Zeitraums zwischen drei EU-Mitgliedstaaten vereinbarten EU-Themen. Denn die Mitgliedstaaten arbeiten seit in Kraft treten des Vertrags von Lissabon in Dreiergruppen zusammen, d.h. die drei nacheinander folgenden Ratsvorsitze erarbeiten langfristige Ziele und formulieren ein gemeinsames Programm mit den zur Zeit strategisch wichtigen Themen für die EU als Ganzes. Auf der Grundlage dieses 18monatigen Programms hat aber jedes der drei Mitgliedstaaten ein detailliertes Sonderprogramm, der aktuelle Dreiervorsitz besteht aus Frankreich, Tschechien (2. Halbjahr 2022) und Schweden (1. Halbjahr 2023).
Die noch unter der Juncker-Kommission vereinbarte Strategische Agenda 2019 – 2024 der EU und das 18Monats-Programm der Trio-Ratspräsidentschaft bilden die Grundlage für das Programm Frankreichs für seinen sechsmonatigen Vorsitz in der EU. Das Programm trägt den Titel: „Aufschwung, Stärke, Zugehörigkeit“, das Präsident Emmanuel Macron im Europäischen Parlament am 19.01.2022 vorstellte, es trägt drei Überschriften:
Ein souveränes Europa
Unter dieser Überschrift geht es vor allem um die Erstarkung der Souveränität der EU an ihren Außengrenzen, d.h. um die Steuerung der Flüchtlingskrise und die weitere Behandlung des von der Europäischen Kommission in 2020 vorgeschlagenen Asyl- und Migrationspakts; hierfür soll die Funktionsweise des Schengenraums verstärkt und ein verlässlicher Krisenmechanismus, der in Notsituationen an den Außengrenzen der EU die Unterstützung durch die Agentur für Grenz- und Küstenwache (FRONTEX) sichert, geschaffen werden. Außerdem strebt der französische Staatspräsident eine entsprechende Kooperation mit den Herkunfts- und Transitländern an. In diesem Zusammenhang steht auch das Ziel, besondere Beziehungen zu Afrika weiter auszubauen (z.B. EU-Afrika-Gipfel im Februar 2022, europäisch-afrikanisches Investitionspaket, Stärkung der EU-Afrika-Handelspartnerschaften).
Zu den außenpolitischen Zielen Frankreichs gehört auch die Förderung der Stabilität der Staaten des Westlichen Balkan (z.B. Westbalkan-Konferenz im Juni 2022), vor allem will Macron die ausgesprochene Beitrittsperspektive erneut hervorheben und in diesem Zusammenhang konkrete Kooperationsprojekte vertiefen.
Zur Stärkung der Souveränität Europas gehört auch die in den letzten Monaten immer wieder betonte Notwendigkeit der Weiterentwicklung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik; hier geht es vor allem um die Annahme des sog. Strategischen Kompasses für Sicherheit und Verteidigung durch die Staats- und Regierungschefs auf ihrer Tagung am 24./25.03.2022 und um die Entwicklung von Strategien für den maritimen Bereich, den Weltraum und den Cyberspace.
Ein neues europäisches Wachstumsmodell
Die Ziele und Ausgestaltung des Wachstumsmodells sollen auf einem informellen Gipfel der Staats- und Regierungschefs Anfang März 2022 diskutiert werden. Das neue Modell soll sich auf vier Säulen stützen:
- Sicherung des Produktions- und Innovationstandorts EU (Stichwörter: Schaffung von Arbeitsplätzen und technologische Spitzenleistungen)
- Vereinbarung des wirtschaftlichen Wachstums in der EU mit den klimapolitischen Ambitionen der EU, d.h. es soll Wettbewerbsfähigkeit und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit gesichert werden (Stichworte: Einführung eines CO2-Ausgleichssystem für EU-Importe, Aufnahme von ökologischen und sozialen Standards in die EU-Handelsabkommen)
- Entwicklung der EU als digitale Macht (Stichworte: Investitionen, Entwicklung digitaler Marktführer, Besteuerung von digitalen Großkonzernen, Regulierung digitaler Märkte und Dienstleistungen)
- Hervorhebung und Umsetzung der sozialen Säule der EU (Stichworte: Sicherung Mindestlohn in der EU, Kampf gegen Sozialdumping, Sicherung hochwertiger Arbeitsplätze)
Verwirklichung eines humanistischen Europas
Dazu gehört für die französische Regierung der Abschluss der Konferenz zur Zukunft Europas, der Kampf für Rechtsstaatlichkeit und für die gemeinsamen europäischen Werte; in diesem Zusammenhang wird die weitere Förderung der Einrichtung europäischer Universitäten, die Bildung eines unabhängigen Ausschusses für die Geschichte Europas (als akademischer Rahmen für multilaterale/grenzüberschreitende Geschichtsforschungsprojekte) und die Schaffung eines europäischen Zivildienstes (bisher gibt es schon den Europäischen Freiwilligendienst und den Europäischen Solidaritätskorps) genannt.
Damit greift die französische Ratspräsidentschaft viele Vorhaben auf, die auch im Arbeitsplan der Europäischen Kommission für 2022 genannt werden.
Die französische Ratspräsidentschaft ist eine besondere Ratspräsidentschaft, da im April 2022 der Präsident neu gewählt wird und im Juni 2022 Wahlen zur Nationalversammlung stattfinden.
Quelle und weitere Informationen: rgre aktuell Nr. 1/2022 und Deutscher Bundestag – Aktueller Begriff Europa: Die Schwerpunkte des französischen Ratspräsidentschaftsprogramms 2022, Seite 1/2
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