3. Rede zur Lage der Europäischen Union – Kommissionspräsidentin von der Leyen würdigt gemeinsames Handeln der EU in den schwierigen Monaten von Energiekrise und Ukrainekrieg
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In ihrer Rede zur Lage der EU am 14.09.2022 würdigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das gemeinsame Handeln Europas in den letzten Monaten. Nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine habe die EU schnell und geeint reagiert; sie wies mit Stolz daraufhin, dass Europa ein weiteres Mal seine innere Stärke zum Vorschein gebracht habe und diese auch in den kommenden Monaten gebraucht würde, denn es stünden schwerwiegende Entscheidungen für Familien und Unternehmen an. Europa werde auf die Probe gestellt, denn der Krieg Russlands sei auch ein Krieg gegen die Energieversorgung, die europäische Wirtschaft, gegen die Werte der EU und letztlich ein Krieg gegen die Zukunft Europas, es finde ein Kampf Autokratie gegen Demokratie statt, aber sie glaube dabei fest an ein Europa, das die Oberhand gewinnen werde.
Der Rege zur Lage der EU im Europäischen Parlament wohnte auch die First Lady der Ukraine, Olena Selenska, bei, die die Kommissionspräsidentin persönlich ansprach und ihr für ihren Mut, mit ihren Kindern in Kiew bei Ihrem Mann, Präsident Selenskyj geblieben zu sein, dankte. Gleichzeitig versprach von der Leyen, dass die Europäische Kommission 100 Mio. Euro für den Wiederaufbau beschädigter ukrainischer Schulen zur Verfügung stellen werde. Zudem informierte die Kommissionspräsidentin die Abgeordneten darüber, dass sie noch an diesem Tag in die Ukraine reisen werde, um erneut mit Präsident Selenskyj zusammenzutreffen und mit ihm über den weiteren Beitrittsprozess zu sprechen.
Energiesicherheit und Notmaßnahmen auf den europäischen Energiemärkten
Im Folgenden bekräftigte von der Leyen das weiterhin entschlossene Handeln in ihrem Kurs gegenüber Russland und zur Sicherung der europäischen Energiemärkte; zugleich machte sie klar, dass die Sanktionen gegen Russland auf Dauer bleiben würden, und die EU bereits viel erreicht habe bei dem Bemühen, sich von der bisherigen Energieabhängigkeit zu befreien. Die Gasspeicher in den EU-Mitgliedstaaten seien zwischenzeitlich zu 84 Prozent gefüllt, die Gasimporte aus Russland auf neun Prozent zurückgegangen.
Da dies alleine nicht ausreiche, auf Dauer ausreichend Energie für Wirtschaft und Bevölkerung zu sichern, schlage die Europäische Kommission Maßnahmen vor, mit denen die Mitgliedstaaten ihren Stromverbrauch insgesamt senken könnten. Weiterhin schlage die Europäische Kommission eine Obergrenze für die Einnahmen von Unternehmen vor, die Strom zu niedrigen Kosten erzeugten, denn zur Zeit machten die Unternehmen Gewinne, mit denen sie selbst nicht gerechnet hätten; diese müssten in diesen schwierigen Zeiten geteilt und an die Bedürftigsten umgeleitet werden. Der Vorschlag der Kommission werde „mehr als 140 Mrd. für die Mitgliedstaaten bringen, um die Not unmittelbar abzufedern“. Auch auf die fossile Brennstoffindustrie kämen besondere Pflichten zu, denn auch große Öl-, Gas- und Kohleunternehmen erzielten enorme Gewinne und müssten ihren gerechten Beitrag mit einer „Krisenabgabe“ leisten. Dabei betonte von der Leyen ausdrücklich, dass alle genannten Maßnahmen „Notmaßnahmen“ und daher vorübergehend seien, das gelte auch für die Diskussion über Preisobergrenzen.
Als zusätzlichen Schritt kündigte sie an, im Oktober des Jahres den befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zu ändern, um staatliche Garantien zu ermöglichen und gleichzeitig gleiche Wettbewerbsbedingungen zu wahren.
Auch die derzeitige Ausgestaltung des Elektrizitätsmarkts werde den Interessen der Verbraucher/innen nicht mehr gerecht, denn diese könnten bisher nicht die Vorteile der kostengünstigen erneuerbaren Energien nutzen. Daher müsse der Strom- vom dominanten Gasmarkt entkoppelt werden und daher werde die Europäische Kommission den Elektrizitätsmarkt einer „tiefen und umfassenden Reform unterziehen“
European Green Deal
In diesem Zusammenhang ging von der Leyen auch auf den European Green Deal ein, und erklärte, um die Transformation der Energieversorgung voranzubringen, werde eine Europäische Wasserstoffbank gegründet. "„Sie wird dafür sorgen, dass wir Wasserstoff ankaufen können, insbesondere durch die Verwendung von Mitteln aus dem Innovationsfonds. Sie wird in der Lage sein, 3 Milliarden Euro in den Aufbau des künftigen Marktes für Wasserstoff zu investieren. Darauf werden wir die Wirtschaft von morgen aufbauen. Genau das ist unser europäischer Green Deal.“
Der vergangene Sommer habe gezeigt, welche Bedeutung dem European Green Deal zukomme. Da die Katastrophen immer häufiger und immer intensiver in Europa ankommen würden, werde Europa seine Brandbekämpfungskapazitäten im kommenden Jahr verdoppeln und es würden zehn leichte Löschflugzeuge und drei zusätzliche Hubschrauber angeschafft
Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung
Der European Green Deal, der den Übergang zu einer digitalen und klimaneutralen Wirtschaft zum Ziel habe, benötige in der folgenden Zeit weitere Förderung, dazu gehöre auch, „eine neue Realität der höheren Staatsverschuldung“ anzuerkennen. Es seien fiskalpolitische Regelungen notwendig, die strategische Investitionen ermöglichten und gleichzeitig die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gewährleisteten, d.h. Regelungen, die an die Herausforderungen dieses Jahrzehnts angepasst seien. Von der Leyen kündigte daher an, dass die Kommission im Oktober neue Vorschläge für die wirtschaftspolitische Steuerung vorlegen werde.
Unterstützung für Unternehmen
Ferner benötige Europa für den ökologischen und digitalen Wandel günstige Rahmenbedingungen für Unternehmen und Arbeitskräfte mit den passenden Kompetenzen sowie für die Industrie Zugang zu Rohstoffen. Die kleinen und mittleren Unternehmen seien schon immer das Rückgrat der europäischen Industrie gewesen; weil sie die Inflation und die Unsicherheit der aktuellen Krisen besonders treffen würde, wolle die Europäische Kommission ein „KMU-Entlastungspaket“ auf den Weg bringen – Ziel von „BEFIT“ sei es, den KMU´s zu ermöglichen, leichter Geschäfte in Europa durch weniger Bürokratie zu machen.
Vorschlag für ein Europäisches Jahr der Aus- und Weiterbildung 2023
Eine weitere Herausforderung für Europas Unternehmen sei der Mangel an Personal, es müsse daher
- viel stärker in die Aus- und Weiterbildung investiert
- Gezielter Fachkräfte aus dem Ausland angeworben
- Und die Qualifikationen der ausländischen Fachkräfte besser und schneller anerkannt werden.
Die Kommissionspräsidentin fasste diesen Punkt zusammen, dass „Europa attraktiver werden müsse für die, die etwas können und sich einbringen wollen.“ Daher schlage sie vor, das kommende Jahr zum Europäischen Jahr der Aus- und Weiterbildung auszurufen.
Zugang zu Rohstoffen (Europäisches Gesetz zu kritischen Rohstoffen und Europäisches Chip-Gesetz)
Die Kommissionspräsidentin führte weiter aus, dass für eine erfolgreiche Transformation zu einer nachhaltigen und digitalen Wirtschaft auch der Zugang zu Rohstoffen entscheidend sei; sie sei daher entschlossen, die Abkommen mit Chile und Mexiko (jeweils Freihandelsabkommen) und Neuseeland (Handelsabkommen) den Mitgliedstaaten zur Ratifizierung vorzulegen. Die noch laufenden Verhandlungen mit den wichtigen Partnerländern Australien und Indien würden weiter vorangetrieben.
Ferner kündigte von der Leyen ein europäisches Gesetz zu kritischen Rohstoffen an und verwies als Begründung auf die erfolgreiche Gründung der Batterieallianz vor fünf Jahren. Dies habe bewirkt, dass bald zwei Drittel der benötigten Batterien in Europa hergestellt würden.
Zudem habe sie im vergangenen Jahr das Europäische Chip-Gesetz angekündigt und jetzt werde bald die erste Chip-Gigafabrik in Europa fertiggestellt (größte Chipfabrik in Europa entsteht in Dresden). Es gelte an diesen Erfolg anzuknüpfen, Europa werde daher seine finanzielle Beteiligung an wichtigen Vorhaben von gemeinsamen europäischen Interesse erweitern. In diesem Zusammenhang werde sie auf einen „Europäischen Souveränitätsfonds“ hinarbeiten, denn es gelte dafür zu sorgen, dass die Zukunft der Industrie in Europa liege.
Der Schutz der Demokratie in Europa erfordert den Aufbau einer europäischen politischen Gemeinschaft
Zu diesem Punkt führte die Kommissionspräsidentin aus, dass der russische Angriffskrieg ein Wendepunkt in der Weltpolitik gewesen sei und ein Überdenken der außenpolitischen Agenda erfordere, es sei Zeit, in die „Macht der Demokratien zu investieren“. Das beginne bei den Ländern, die sich bereits auf dem Weg in die EU befänden und denen man bei jedem Schritt auf diesem Weg zur Seite stehen müsse; „Denn der Weg zu einer starken Demokratie und der Weg zu unserer Union sind ein und derselbe“. Daher sollten die Menschen des westlichen Balkans, der Ukraine, der Republik Moldau und Georgiens wissen, dass sie zur europäischen Familie gehörten und ihre Zukunft in der Union liege, und die Union nicht ohne sie komplett sei.
Unabhängig davon sei in der letzten Zeit deutlich geworden, dass die EU den Ländern Europas ihre Hand reichen müsse – über den Beitrittsprozess hinaus, deshalb unterstütze sie die Forderung nach einer „europäischen politischen Gemeinschaft“, hierzu werde die Europäische Kommission ihre Vorschläge dem Europäischen Rat (Staats- und Regierungschefs der EU) vorlegen.
Demokratie schützen
Europa müsse sich ebenfalls vor böswilliger Einmischung von außen schützen, deshalb werde die Kommission ein Paket zur Verteidigung der Demokratie vorlegen; dieses solle helfen, verdeckte ausländische Einflussnahme und dubiose Finanzierungen ans Licht zu bringen.
Die Demokratien müssten gleichzeitig auch von innen geschützt werden, daher sei es die Pflicht und die vornehmste Aufgabe der Europäischen Kommission die Rechtsstaatlichkeit zu schützen und auf die Unabhängigkeit der Justiz zu pochen. Weiterhin machte von der Leyen deutlich, dass die Kommission die europäischen Steuermittel durch den mit der neuen Finanzperiode eingeführten Konditionalitätsmechanismus schützen werde.
Ferne müsse der Kampf gegen Korruption in den Fokus gerückt werden, denn die Europäische Kommission fordere stets die Beitrittskandidaten auf, ihre Demokratien zu stärken, daher könne Europa nur glaubwürdig sein, wenn sie die Korruption auch im eigenen Innern angehe. Die Kommission werde im kommenden Jahr Vorschläge zur Aktualisierung des Rechtsrahmens für die Korruptionsbekämpfung vorlegen: Über die klassischen Straftaten wie Bestechung hinaus, würden auch schärfere Standards für Straftaten wie illegale Bereicherung, unerlaubte Einflussnahmen und Machtmissbrauch eingeführt. Zusätzlich solle der Tatbestand der Korruption auch in das Sanktionsregime zum Schutz der Menschenrechte aufgenommen werden, denn dieses sei das neue Instrument der EU zum Schutz ihrer Werte außerhalb der eigenen Grenzen.
Asyl- und Migrationspolitik
Die Kommissionspräsidentin führte hierzu aus, dass sich Europa bei der Aufnahme von Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern von seiner besten Seite gezeigt habe. Leider fehle diese Entschlossenheit und Solidarität noch immer in der laufenden Migrationsdebatte. „Unser Engagement für die ukrainischen Flüchtlinge darf keine Ausnahme bleiben. Sie kann unser Modell für die Zukunft sein. Wir brauchen faire und zügige Verfahren, ein krisenfestes System, das schnell mobilisiert werden kann, und einen permanenten rechtsverbindlichen Mechanismus, der Solidarität gewährleistet. Gleichzeitig brauchen wir eine wirksame Kontrolle unserer Außengrenzen unter Achtung der Grundrechte. Ich will ein Europa, das Migration würde- und respektvoll steuert.
Ich will ein Europa, in dem alle Mitgliedstaaten Verantwortung für die Herausforderungen übernehmen, vor denen wir alle stehen. Und ich will ein Europa, das sich gegenüber allen Mitgliedstaaten solidarisch zeigt. Wir haben Fortschritte beim Migrationspaket erreicht, wir haben einen Fahrplan. Nun brauchen wir noch den politischen Willen zum Vorankommen.“
Einsetzung eines Europäischen Konvents
Zum Abschluss ihrer Rede rief von der Leyen auf, bei allen Zukunftsplänen und deren Umsetzung, die Hoffnungen der jungen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen; sie glaube daher, dass es an der Zeit sei, die Solidarität zwischen den Generationen in den Verträgen (Vertrag von Lissabon“) zu verankern. Da die EU eine Erweiterung ins Auge fasse, müsse sie sich auch ernsthaft um Reformen bemühen, daher sei sie der Ansicht, dass die Zeit reif für die Einberufung eines Europäischen Konvents sei, so wie das vom Europäischen Parlament gefordert worden sei.
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