NICHTS WIRD BLEIBEN WIE ES WAR“? – Europa nach der Krise – Eine Zeitreise“
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NICHTS WIRD BLEIBEN WIE ES WAR“? – Europa nach der Krise – Eine Zeitreise“ ist der Titel eines Buches und war zugleich der Einladungstext zu einer Abendveranstaltung, zu der Landrat Hans-Jürgen Petrauschke zusammen mit dem Europe Direct Informationszentrum Mittlerer Niederrhein am 25.03.2021 eingeladen hatte. In einem virtuellen Rahmen diskutierten die eingeladenen Gäste aus Bundes-und Landespolitik, Kreisverwaltung und Bürgerinnen und Bürger aus dem Rhein-Kreises Neuss die Gestaltungsideen, die Frau Professor Ulrike Guérot für eine Zeit nach der Coronakrise in ihrem neuen Buch aufgezeigt und näher erläutert hat.
In seiner Begrüßung bedankte sich Herr Petrauschke bei Prof. Guérot, die sich aus ihrem Urlaub in Frankreich dazugeschaltet hatte und Herrn Dr. Wojahn, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland in Berlin, die beide im Rhein-Kreis Neuss geboren sind, dass sie zu dieser Gelegenheit virtuell wieder zurück in den Rhein-Kreis Neuss gekommen seien, um über die vielfältigen Themen in Europa und aus Sicht Europas zu berichten. Im Folgenden machte Petrauschke noch einmal deutlich wie schwierig die Coronakrise in den Griff zu bekommen sein, und dass sie ihre Spuren bereits hinterlassen habe, wie z.B. beim Einzelhandel und bei den Unternehmen, andererseits habe sie Fortschritte erzwungen wie im Bereich der Digitalisierung ohne die die heutige Veranstaltung nicht möglich geworden wäre. Insgesamt gebe es auf die vielen aufgeworfenen Fragen, die sich während der Krise entwickelt hätten, wie die Aufrechterhaltung des freien Binnenmarktes, keine leichten Antworten. Es sei aber beeindruckend zu sehen, in welch kurzer Zeit die Wissenschaft einen Impfstoff entwickelt habe obwohl dies zu Beginn der Krise in Frage gestellt worden sei. Für den Rhein-Kreis Neuss könne er feststellen, dass die frühzeitig eigeleiteten Notfall- und Schutzmaßnahmen schnell und erfolgreich gegriffen hätten, und nannte als Beispiel das kürzlich errichtete Impfzentrum. Aufgrund der vielen positiven Krisenreaktionsmaßnahmen der EU und von Bund und der Landesregierung könne er feststellen, dass sich Europa und die EU als gut aufgestellt gezeigt hätten, daher blicke er optimistisch in die Zukunft und glaube an eine gemeinsame Überwindung der Krise.
Danach stellte der Moderator des Abends, Herr Andreas Christ, kurz den Lebenslauf von Professor Guerot vor, sie sei weithin bekannte Politikwissenschaftlerin mit einem Lehrstuhl an der Donauuniversität Krems und viel zitierte Publizistin, heute werde sie ihr jüngstes Buch vorstellen. Zu Beginn ihres Vortrags dankte Frau Professor Guérot Herrn Petrauschke für die Einladung und betonte, dass sie immer wieder gerne in den Rhein-Kreis Neuss und an den Rhein zurückkehre. Sie habe sich in ihrem Buch mit der Frage nach der Zukunft Europas nach der Coronakrise auseinandergesetzt und führte zum besseren Verständnis und als Einführung die großen Krisenreaktionsmaßnahmen der EU auf, u.a. den Europäischen Aufbauplan, der zusammen mit dem neuen siebenjährigen EU-Haushalt ein Finanzvolumen in Höhe von 1,8 Billionen Euro habe und als übergeordnete Ziele u.a. den European Green Deal und die Digitalisierung vorgebe. Die Ausmaße der Krise und die Höhe der Finanzsummen führten zu der Frage, ob die EU nicht eigene Einnahmen erhalten müsse und dafür eine Staatswerdung in Form einer Republik notwendig sei mit der Folge, dass es auch eine European Citizenship und eine Bürgerunion geben müsse. In diesem Zusammenhang berichtete sie, dass sie Nebenklägerin in einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof sei, in dem es genau um diese Frage gehe. Es sei erstaunlich, dass der EuGH die Klage angenommen habe, für den Fall, dass die Klage Erfolg habe, seien auch die Briten weiter EU-Bürger/innen und würde das Begehren einer Bürgerunion gestärkt. Schon Jean Monnet, Ideengeber für die Europäische Montanunion, habe den Satz geprägt, wir einigen keine Staaten, wir bringen Menschen einander näher. Es gebe heute keine Rechtssicherheit und Gleichberechtigung, nur wenn der Bürger Souverän werde, könne es eine Republik geben, die zu einem Zustand der Rechtsgleichheit führe.
Im Zusammenhang mit der Debatte um die Zukunft Europas habe sie gemeinsam mit anderen Europaforschern das „European Democracy Lab“ gegründet, dieses treffe sich jede Woche (zur Zeit virtuell) und jeder könne sich einbringen und sich überlegen und mitteilen, warum sie/er Bürger/innen Europas werden wollten. Ziel des European Democracy Lab sei, gemeinsam mit den Bürger/innen eine Demokratie in Europa aufzubauen, d.h. den Bürger/innen mehr Mitbestimmung zu ermöglichen; die entscheidende Kette laute „Ein Markt, Eine Demokratie, eine Währung“.
In diesem Zusammenhang verwies Frau Professor Guérot auf die großen Chancen der Digitalisierung, eine digitale Autonomie sei zentral um europäische Werte zu verteidigen und daher plädiere sie für eine Citizen-ID-Card bis 2030 mit allen EU-Freiheiten, für eine europäische Sozial-Nummer bis 2035 und eine europäische Steuer-Nummer bis 2040.
In seiner Entgegnung betonte Dr. Wojahn, dass EU-Beamte Visionäre seien, stetig für die europäische Idee kämpften und dabei praktisch darauf ausgerichtet seien, wie Bürger/innen mehr beteiligt werden könnten; dies sei aber nicht immer einfach und Fortschritte schwer zu erreichen. Er habe jedoch den Eindruck, dass bei den Bürger/innen das Verhalten zwischen Solidarität und Eigeninteresse ausgeglichen sei. Die Krise habe allen bewusst gemacht, wie verschränkt die EU-Mitgliedsländer miteinander seien, er habe unbedingt den Eindruck dass die Zustimmung zum Europäischen Aufbauplan, zum Rechtsstaatsmechanismus und zum Europäischen Grenzschutz vorhanden sei. Die EU habe immer wieder auf Krisen reagiert und dabei gleichzeitig entscheidende Fortschritte auf vielen Gebieten gemacht; auch die Europäische Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen habe in der Krise neue Akzente gesetzt, wie die Neuausrichtung des Verhältnisses EU-China oder EU-USA, denn es sei von entscheidender Bedeutung selbst Normen zu setzen, sonst würden andere weltpolitische Akteure dies tun. In den heutigen Zeiten sei vor allem Realismus notwendig und hierzu gehöre auch die Verantwortlichkeit der Bürger/innen.
In der darauffolgenden Diskussionsrunde machte Kreisdirektor Brügge deutlich, dass es von entscheidender Bedeutung sei, eine europäische Identität vor Ort zu erschaffen und anhand der Angebote aus Brüssel für die Bürger/innen aufzuzeigen, warum Europa vor Ort interessant sei. Außerdem müsse vermittelt werden, welche Ziele die EU habe und wo sie einmal hin wolle; hierzu seien Diskussionen mit Landtags-, Bundestags- und Europaabgeordneten wichtig.
Herr Landrat Petrauschke machte deutlich, wie nah heute die Vorteile Europas seien, so studierten seine beiden Kinder mit Unterstützung des EU-Programms Erasmus+ in Riga; die Vorteile der Europäischen Einigung seien deutlich zu sehen. Der Rhein-Kreis Neuss als europaaktive Kommune mache schon seit vielen Jahren Werbung für die vielen Vorteile der Europäischen Einigung. Er stelle auch immer wieder fest, dass die Erwartungen an den Staat zu hoch seien, wichtig sei, die Bürger/innen zur Selbstständigkeit zu erziehen. Er plädierte abschließend dafür, weiter für ein besseres Europa zu kämpfen.
Auf eine Frage einer Zuhörerin nach sozialem Fortschritt sah Frau Professor Guérot die Umsetzung der sozialen Säule als nächste Stufe (Hinweis: In der europäischen Säule der sozialen Rechte werden 20 Grundsätze und Rechte festgelegt, die zu fairen Arbeitsmärkten beitragen sollen), die gleichberechtigte Teilhabe sei von entscheidender Bedeutung für die Bürger/innen, denn den Rechtsstaat gebe es nur gemeinsam mit dem Sozialstaat. Sie sah es als notwendig an, einen europäischen Sozialvertrag zu schließen, dieser müsse allerdings noch ausgestaltet werden. In diesem Zusammenhang machte sie darauf aufmerksam, dass es bereits eine sog. „citizen assembly“ gebe, die seit einem Jahr an einer europäischen Verfassung schreibe und in den Prozess um die Debatte Europas mit einbezogen werden müsse. Rechtsstaat und Sozialstaat müssten zusammengeführt werden, denn der Populismus in Europa sei entstanden als Reaktion auf eine Zwei-Klassengesellschaft. Daher bejahte Frau Professor Guérot auch die Frage nach einem bedingungslosem Grundeinkommen in der EU, im Übrigen seien über 60 Prozent der Bürger/innen in der EU laut den jüngsten Eurobarometer-Umfragen für die Einführung eines Grundeinkommen und einer Arbeitslosenrückversicherung.
Zum Abschluss des Abends warb Herr Christ für ein weiteres Arbeiten an der Europäischen Einigung und den in der Diskussion aufgeworfenen Fragen und Themen, denn alles könne nur gut und besser werden, wenn es mit schwierigen Themen im gesellschaftlichen Miteinander weitergehe.
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