Europatag des Rhein-Kreises Neuss am 04.05.2021 „Nachhaltige Zukunft im Rhein-Kreis Neuss: Wie kann der European Green Deal die Umsetzung des Strukturwandels unterstützen?“ – Klimawandel und Umweltschutz „alternativloser“ Weg
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Zum jährlichen Europatag des Rhein-Kreises Neuss, der aufgrund der immer noch geltenden COVID-19-Schutzmaßnahmen im virtuellen Rahmen stattfand, schalteten sich über 40 Gäste dazu. Herr Tom Hegermann, freier Journalist, der durch den Abend moderierte, führte in die Thematik des Abends ein und verwies auf die Gefahr, dass über die derzeitige Gesundheitskrise die langfristigen gesellschaftlichen Herausforderungen und Aufgaben übersehen werden könnten. Dazu gehöre auch der Klimawandel, der für die hiesige Region im Strukturwandel eine besondere Herausforderung bedeute. Der European Green Deal habe eine nachhaltige Zukunft bei gleichzeitigem Wachstum als Ziele ausgerufen und stehe daher nicht im Widerspruch zum Strukturwandel. Dies zu verdeutlichen, sei Thema der heutigen Abendveranstaltung.
Herr Landrat Petrauschke pflichtete Herrn Hegermann in seiner Begrüßung bei und nannte die Coronakrise eine Eintagsfliege im Vergleich zu den Herausforderungen einer Gesellschaft und Wirtschaft im Umbruch. Der Rhein-Kreis Neuss als europaaktive Kommune nehme sich der fortlaufenden Herausforderungen die die EU für ihre Mitgliedstaaten und deren Regionen aufzeige an und dies gelte auch für die Umsetzung des European Green Deal, der Richtschnur sei und zugleich Unterstützung für den Strukturwandel gebe. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe eine weitere Konkretisierung der Reduktionsziele nach 2030 verlangt und fordere alle Ebenen auf, die Zielmarken neu zu definieren. Der Rhein-Kreis Neuss sei besonders vom Strukturwandel betroffen, so gingen in der kommenden Zeit die Braunkohlenkraftwerke vom Netz, was die Stromsicherung zur besonderen Achillesferse der Region mache, denn ohne ausreichende Energiezufuhr sei das Leben nicht regierbar und Wachstum nicht möglich. Er sei jedoch wie die Europäische Kommission optimistisch, dass Klimaschutz und Wachstum, z.B. durch den Einsatz des Cradle to Cradle-Pronzips, keine Gegensätze bildeten, und betonte, wie wichtig in diesem Zusammenhang der Gründergeist sei; als europafreundlicher Landrat freue er sich auf viele gute neue Ideen zum Einsatz erneuerbarer Energien um Unternehmen in der Region anzusiedeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen, zumal die wirtschaftlichen Voraussetzungen im Rheinischen Braunkohlenrevier besser seien als im Ruhrgebiet.
Zu Beginn seines Vortrags dankte Herr Pöttgen, Leiter der Regionalvertretung der Europäischen Kommission in Bonn für die Einladung und bezeichnete Klimawandel und Strukturwandel als existentielle Bedrohungen. Der von der Europäischen Kommission ins Leben gerufene European Green Deal unterstütze massiv den Übergang in eine nachhaltige Wirtschaft. Der Kampf gegen den Klimawandel und eine saubere, gerechte Energiewende seien die wichtigsten Prioritäten bei der grünen und nachhaltigen Wachstumsstrategie der EU, mit der die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 % gesenkt werden sollten, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Für die Zielerreichung sei die Dekarbonisierung des Energiesystems von entscheidender Bedeutung, dabei müssten die Schwerpunkte auf Energieeffizienz und der Entwicklung eines Energiesektors liegen, der sich weitgehend auf Erneuerbare Energien stütze, denn diese seien wesentlich kostengünstiger als z.B. Kohle. Der Umstieg werde nicht nur die Umwelt schützen, sondern auch neue Industriebereiche und damit neue Arbeitsplätze schaffen. Diese Zukunftspläne könnten allerdings nur in einem vernetzten und digitalen Binnenmarkt realisiert werden. In diesem Zusammenhang zitierte Herr Pöttgen den Vize-Präsidenten der Europäischen Kommission, Frans Timmermanns, der für den European Green Deal zuständig sei, dieser habe betont, dass man nicht weitermachen könne wie bisher, sondern der Wandel jetzt angegangen werden müsse, dies seien wir auch den Kindern und Enkelkindern schuldig, die ansonsten in der Zukunft unsere Schulden bezahlen müssten. Damit dieser historische Wendepunkt für alle Regionen und Menschen gerecht und maßvoll erfolgen könne, d.h. niemand zurückgelassen werde, habe die Europäische Kommission bereits in den vergangenen Jahren Unterstützungsinstrumente geschaffen, denn in 31 Regionen in 11 Mitgliedstaaten würden heute noch fossile Brennstoffe abgebaut. So wurde 2017 die Initiative für kohle- und kohlenstoffintensive Übergangsregionen ins Leben gerufen und im Mai 2020 folgte der Mechanismus für einen gerechten Übergang, der für den Zeitraum bis 2027 mindestens 100 Mrd. Euro für betroffene Regionen zur Verfügung stellt, um die sozio-ökonomischen Auswirkungen des Übergangs abzufedern, dies beinhaltet z.B. die finanzielle Unterstützung für Unternehmen und Arbeitnehmer/innen. Dieser Mechanismus setze sich aus drei Instrumenten zusammen:
- Dem Fonds für einen gerechten Übergang mit einer Finanzausstattung in Höhe von 17,5 Mrd. Euro, der auch dem Rhein-Kreis Neuss und dem Rheinischen Revier für Zukunftsprojekte zugutekommen werde
- Der Investitionsoffensive „InvestEU“, die Darlehen für Investitionen in Schlüsselbereichen zur Verfügung stelle, um insgesamt Investitionen in Höhe von 45 Mrd. Euro zu mobilisieren
- Einer Darlehensfaszilität der Europäischen Investitionsbank für den öffentlichen Sektor (auch Städte und Kreise) für die Mobilisierung von Gesamtinvestitionen bis zu einer Höhe von 25 bis 30 Mrd. Euro, z.B. in Fernwärmenetze und die energetische Renovierung öffentlicher Gebäude.
Voraussetzung für den Erhalt von EU-Finanzmitteln sei die jeweilige Co-Finanzierung durch die EU-Mitgliedstaaten bzw. ihre Regionen (in Deutschland die Bundesländer). Im Juni 2020 sei zusätzlich die Plattform für einen gerechten Übergang gestartet, diese Plattform baue auf der Initiative für Kohleregionen im Wandel auf und biete betroffenen und interessierten Regionen die Möglichkeit für einen Austausch von Erfahrungen und best practice-Beispielen und stelle zusätzlich technische Unterstützung zur Verfügung.
In seinem nachfolgenden Vortrag beleuchtete Professor Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Institut für Klima, Energie, Umwelt die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für das Gelingen des Klimawandels und des Umstiegs auf Erneuerbare Energien auf nationaler Ebene und machte zu Beginn darauf aufmerksam, dass sich das Klima bereits seit vielen Jahrzehnten verändere. Die Klimakonferenz von Paris, auf der sich über 190 Staaten zur Begrenzung der Erderwärmung auf unter 2 Grad Celsius, d.h. Zielmarke von 1,5 Grad Celsius, verpflichtet hätten, sei der Ausgangspunkt aller weiteren Klimaschutzmaßnahmen. Seit 2019 gebe es das nationale Klimaschutzgesetz mit der Angabe von Zwischenzielen und Zielen für die verschiedenen Sektoren. Die Frage, die sich stelle, sei, wie in Deutschland die Klimawende gelingen könne. Die Antwort laute, alle vorhandenen Klimaschutzinstrumente zu nutzen und intelligent miteinander zu bündeln, wie z.B. die circle economy, d.h. die Wiederverwertbarkeit von Produkten, zudem müsse jeder Einzelne energiebewusster werden. Im vergangenen Jahr habe das Wuppertal Institut gemeinsam mit Prognos diese Frage genauer untersucht und dafür drei notwendige Schritte identifiziert: Den vehementen Ausbau von Erneuerbaren Energien, den Ausbau von Elektromobilität und sowie Gebäudesanierungen und den CO2-neutralen Neubau. Zusätzlich stelle sich die Frage, wie mit den Restemissionen, z.B. der Zementindustrie und der Landwirtschaft umgegangen werde müsse, hier seien intelligente Lösungen im Umgang mit Biomasse notwendig. Insgesamt müsse für die erfolgreiche Bewältigung des Klimawandels in Deutschland die Primärenergie bis 2050 halbiert werden, es sei eine stärkere Elektrifizierung notwendig, weil wesentlich mehr Strom benötigt werde und schließlich müsse der Wasserstoff als neue Energiequelle stark gefördert werden. Dieser Prozess müsse von Gesellschaft und Wirtschaft mutig angegangen werden, auch ohne Wissen, was die wirtschaftliche Zukunft bringe; gleichzeitig müsse es gelingen, alle Regionen und Menschen in diesem Prozess mitzunehmen. Professor Fischedick schloss seinen Vortrag mit der Feststellung, dass das Rheinische Revier zwar vor großen Herausforderungen stehe, es könne aber mit Unterstützung von EU, Bund und Land NRW Akzente setzen und eigene Stärken ausbauen.
Im anschließenden Vortrag stellte Kreisdirektor Dirk Brügge mehrere Zukunftsprojekte des Rhein-Kreises Neuss und des Rheinischen Reviers vor, die die mit dem European Green Deal verbundenen Ziele bereits angegangen seien. Zu Beginn seiner Ausführungen betonte Kreisdirektor Brügge, dass Innovation Voraussetzung für Strukturwandel sei. Der European Green Deal schaffe eine Verbindung von Umwelt- und Klimaschutz mit Nachhaltigkeit, diese Ziele und deren Umsetzung seien im „Wirtschafts- und Zukunftsprogramm 1.1“ der Zukunftsagentur Rheinisches Revier eingegangen. Das übergeordnete Ziel sei, aus der fossilen Energiegewinnung bis 2038 auszusteigen, aber trotzdem die Energieversorgung der Region zu sichern und die Industrie in ihrer Ausrichtung zu verändern. Grundlage hierfür sei der gerade feierlich vereinbarte Reviervertrag, der die Nutzung der Braunkohlenflächen neu ausrichten wolle und hierfür fünf Themenkomplexe vorsehe, verbunden mit einer Revisionsklausel, die nach zwei Jahren eine Überprüfung vorsehe.
Für den Rhein-Kreis Neuss konstatierte Kreisdirektor Brügge bereits einen Innovationswandel, der sich anhand verschiedener Projekt belegen lasse. Mit dem Projekt „ALU-Valley 4.0 Rheinisches Revier“ wolle der Rhein-Kreis Neuss gemeinsam mit der Industrie ein Engineering Lab und ein Innovationszentrum Aluminium und Kreislaufwirtschaft aufbauen; die 1.Phase mit dem vorgesehenen Netzwerkaufbau mit allen wichtigen Akteuren aus Wirtschaft und Industrie sowie der Forschungs- und Wirtschaftsinstitutionen sei erfolgreich abgeschlossen, für die 2. Phase sei im Rahmen des NRW-Programm „PROGRESS.NRW“ ein Förderantrag für eine Machbarkeitsstudie zur Errichtung des „Innnovationszentrums Aluminium und Kreislaufwirtschaft“ gestellt worden und eine Förderentscheidung werde in Kürze erwartet.
Im Rahmen des Projekts „Klimaschutz durch Kreislaufwirtschaft (Hydro´s LOOP“) gehe es um die Umstellung von Primär- auf Sekundäraluminium mit dem Ziel des geringeren Ressourcenverbrauches. Das Projekt habe zwar den 2. Stern des Vorstands der Zukunftsagentur Rheinisches Revier erhalten, doch sehe er bei einer Bewilligung als große Herausforderung der EU-Beihilfeproblematik, die es unmöglich mache, den kleinen und mittleren Unternehmen finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. An dieser Stelle sprach Kreisdirektor Brügge die dringende Bitte an Herrn Pöttgen aus, sich der Problematik anzunehmen, da sonst die Gefahr bestehe, dass der Mittelstand nicht für EU-cofinanzierte Projekte gewonnen werden könne.
Auch das Thema Wasserstoff sei im Rhein-Kreis Neuss und in der Region schon weit voran gekommen. Mit der „Kompetenzregion Wasserstoff Düssel.Rhein.Wupper“ wurde mit den benachbarten Städten und Kreisen und dem Unternehmen Air Liquide der Wettbewerb des Landes NRW als „Modellregion Wasserstoffmobilität NRW“ gewonnen; im Kern wurden konkrete Ideen für die Erzeugung, Verteilung und Anwendung von Wasserstoff im Mobilitätsbereich erarbeitet und umgesetzt.
Im „Wasserstoff-Hub Rhein-Kreis Neuss/Rheinland e.V.“ werden öffentliche und private Kräfte gebündelt; der Verein wurde Ende 2020 gegründet, er selber sei stellv. Vorsitzender und das Hauptziel sei, den Rhein-Kreis Neuss als regionalen Schnittpunkt von Rhein- und Ruhrgebiet zu einer mehr-dimensionalen Drehscheibe für den Energieträger Wasserstoff zu entwickeln, so dass sich das Rheinland insgesamt als bedeutender Standort für die Wasserstoffindustrie entwickeln könne.
Weitere Anknüpfungspunkte im Rhein-Kreis Neuss seien u.a. das Projekt HECTOR im Chempark Dormagen mit der weltweit größten Anlage zur Speicherung von grünem Wasserstoff, die Erarbeitung einer „Wasserstoff-Roadmap“, das Gemeinschaftsprojekt „Global Entrepreneurship Center“ (GEC) zwischen der Flow gGmbH und dem Rhein-Kreis Neuss mit dem Ziel der Förderung der Ansiedlung und Etablierung von Entrepreneurs und start-ups im Rheinischen Revier aus dem sog. Deep Tech Bereich, das im April 2021 seinen 3. Stern erhalten habe und nunmehr in die Umsetzung gehen könne sowie das Launch Center für die Lebensmittelindustrie (LCL), dessen Ziel die Herstellung von Lebensmitteln aus pflanzlichen (Vor-)Produkten sei; damit solle die gesamtheitliche und integrierte Förderung des Lebensmittelindustrie/-wirtschaft im Rhein-Kreis Neuss gefördert werden und das Projekt habe ebenfalls den 3. Stern erhalten und könne nun in die Umsetzung gehen.
Im Folgenden wurden unter Moderation von Herrn Hegermann Fragen der Zuhörer/innen diskutiert bzw. beantwortet.
So antwortete Landrat Petrauschke auf die Frage nach den Belastungen für Unternehmen, dass diese darauf eingestellt seien, da Veränderungen einen selbstverständlichen Platz im unternehmerischen Denken und Handeln hätten. In diesem Zusammenhang stimmte er auch dem Hinweis zu, dass die Genehmigungsverfahren immer noch zu viel Zeit in Anspruch nehmen würden, an dieser Stelle sprach Kreisdirektor Brügge noch einmal die dringende Bitte an die Europäische Kommission aus, die Beihilfenproblematik für die Gruppe der KMU´s anzugehen, das diese sonst nur schwer zu einer Bewerbung im Rahmen von EU-Förderprogrammen bewegt werden könnten. Herr Pöttgen bestätigte auf Nachfrage, dass die EU „Treiber“ und „Förderer“ zugleich sei, denn sie habe ambitionierte Ziele und sei bei der Umsetzung auf die Mitarbeit von Regionen und Unternehmen angewiesen. Daher gewähre die EU im Verbund mit Bund und Land technische und finanzielle Unterstützung, die für den European Green Deal vorgesehenen Instrumente beinhalteten aus besonderen Gründen sowohl Umwelt- als auch KMU-Förderung.
Im Zusammenhang mit der zeitlichen Ausstiegsproblematik sah Professor Fischedick die reelle Chance, dass bis zum Jahr 2030 65 Prozent CO2-Reduzierungen realistisch seien und sah zugleich eine Chance für den Ausstieg aus der Kohle vor 2038. Kreisdirektor Brügge bestätigte an dieser Stelle, dass sich der Rhein-Kreis Neuss selbstverständlich an die Vorgaben der Klimaverträge von Paris halte und diese Vorgaben Grundlage für alles Handeln seien.
Zum Abschluss des Abends wurde Landrat Petrauschke gebeten, Wünsche für den weiteren Weg des Rhein-Kreises Neuss zu äußern und wünschte sich besonders junge Menschen, die selbstständig denken und handeln würden, denn dann sei mit guten Ideen und Initiativen auch der Klimawandel machbar; im Übrigen müssten sich alle Akteure und natürlich die Bürgerinnen und Bürger bei der Umsetzung des European Green Deal beteiligen.
Herr Hegermann dankte abschließend allen Referenten und Gästen für die interessanten Vorträge und ihre Beiträge und fasste den Abend dahingehend zusammen, dass der Klimawandel und der Umweltschutz ein „alternativloser Weg“ seien.
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