Belgische EU-Ratspräsidentschaft
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Belgien hat zum 01. Juli die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union übernommen.
Portrait des Gründungsmitglieds Belgien
Belgien liegt im Nordwesten Europas und grenzt an die Niederlande, Frankreich, Deutschland und Luxemburg. Von der belgischen Hauptstadt Brüssel ist man in zwei Zugstunden in Paris, London und Amsterdam. Belgien umfasst eine Fläche von 30.528 km2 und hat 10,7 Mio Einwohner. Das Land wurde 1830 unabhängig und ist seit 1993 ein Föderalstaat. Die Entscheidungsgewalt in Belgien verteilt sich auf den Föderalstaat, drei Gemeinschaften (Flämische Gemeinschaft, Französische Gemeinschaft und die Deutschsprachige Gemeinschaft) und drei Regionen (Flämische Region, Wallonische Region und Region Brüssel-Hauptstadt); alle drei politischen Ebenen sind selbstständig, verfügen über wichtige Kompetenzen und können auch internationale Abkommen abschließen.
Die Regionen sind territoriale Gebilde, das Territorium der Flämischen Region fällt mit dem niederländischen Sprachgebiet zusammen, das Territorium der Wallonischen Region umfasst das französische und das deutsche Sprachgebiet, die Region Brüssel-Hauptstadt ist im zweisprachigen Gebiet Brüssel-Hauptstadt zuständig, in Brüssel sind sowohl Flämisch als auch Französisch Amtssprache.
Die Sprachgemeinschaften sind auf der Sprache beruhende politische Gebilde; da es in Belgien drei Amtssprachen gibt, gibt es auch drei Sprachgemeinschaften: Die Flämische Gemeinschaft ist zuständig für das niederländische Sprachgebiet und hat Kompetenzen für das zweisprachige Gebiet Brüssel-Hauptstadt, die Französische Gemeinschaft ist zuständig für das französische Sprachgebiet und hat ebenfalls Kompetenzen im zweisprachigen Gebiet Brüssel-Hauptstadt, die Deutschsprachige Gemeinschaft ist für das deutsche Sprachgebiet zuständig (ca. 70.000 Einwohner).
Sowohl der Föderalstaat als auch die Gemeinschaften und die Regionen verfügen jeweils über ein Parlament und eine Regierung. In Flandern sind die Regional- und Gemeinschaftsinstitutionen zu einer Regierung und einem Parlament zusammengefasst.
Der Föderalstaat hat Kompetenzen inne, die alle Belgier betreffen und die im ganzen Land ausgeübt werden; dies sind die Bereiche Finanzen, Justiz, soziale Sicherheit, Außenpolitik und Verteidigung sowie wichtige Angelegenheiten der Bereiche Gesundheit und Inneres.
Die Regionen sind für alle Bereiche zuständig, die die Belange von Flamen, Wallonen und Brüsselern betreffen, nämlich Wirtschaft, Beschäftigung, Wohnen, öffentliche Arbeiten, Energie, Verkehr, Umwelt und Raumordnung sowie für die internationalen Angelegenheiten in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen.
Die Sprachgemeinschaften sind für alle Aufgabenbereiche zuständig, die die Flämischsprechenden, die Französischsprechenden und die deutschsprechenden Belgier betreffen, wie Sprache, Kultur, Bildung, Fürsorge für Hilfsbedürftige und audiovisuelle Angelegenheiten.
Da die Europäische Union auch in Politikbereichen entscheidet, in denen die Regionen und Sprachgemeinschaften Kompetenzen haben, sind diese eng in die Politikbestimmung im europäischen Kontext, d.h. in die Entscheidungsmechanism der Europäischen Union einbezogen; so kann im jeweiligen Ministerrat je nach Fachzuständigkeit ein föderaler oder ein regionaler Minister für Belgien teilnehmen und entscheiden. Gemäß eines Zusammenarbeitsabkommens wird im Vorhinein zwischen föderaler und regionaler Ebene die jeweilige Position Belgiens festgelegt. Auch die Regionen und Sprachgemeinschaften haben sich in einem sog. Turnusabkommen untereinander vereinbart, welches föderierte Teilgebiet in welchem Politikfeld als Vorsitzender auftreten darf.
Das Programm der Belgischen Regierung für den Ratsvorsitz vom 01. Juli bis 31.12.2010
Belgien hat am 01. Juli 2010 turnusmäßig die halbjährliche Ratspräsidentschaft im Ministerrat der Europäischen Union übernommen. Auch mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 01.12.2009 wechseln sich alle sechs Monate die EU-Mitgliedstaaten beim Vorsitz im Ministerrat ab. Der Vorsitz gilt für alle Räte bis auf zwei Ausnahmen:
Der Ratsvorsitz gilt nicht mehr für den Europäischen Rat (Treffen der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten). Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gibt es jetzt zusätzlich einen für 2 1/2 Jahre gewählten EU-Ratspräsidenten, der gem. des Vertrags von Lissabon die politischen Geschäfte des Europäischen Rates leitet und die Sitzungen vorbereitet. Der EU-Ratspräsident soll der EU ein „Gesicht“/“Telefonnummer“ geben. Auf Ihrem Gipfeltreffen am 28/29.11.2009 wählten die EU-Staats- und Regierungschefs den früheren belgischen Ministerpräsidenten Herman van Rompuy zum ersten Ratspräsidenten.
Der halbjährliche Vorsitz entfällt ebenfalls für den Rat für Auswärtige Angelegenheiten, dem seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die Hohe Repräsentation für Auswärtige Angelegenheiten und Sicherheitspolitik, Baronin Catherine Ashton vorsitzt, die ebenfalls auf dem EU-Gipfeltreffen am 28./29.11.2009 in diese neue Funktion gewählt wurde.
Belgien ist Gründungsmitglied der Europäischen Union und hat sich nach eigener Aussage in den letzten beiden Jahren intensiv auf die Übernahme der Ratspräsidentschaft in den kommenden sechs Monaten vorbereitet. Die Ausarbeitung des Programms erfolgte in Abstimmung mit Spanien, das vor Belgien den Ratsvorsitz inne hatte und Ungarn, dem EU-Mitgliedsland, das nach Belgien den Vorsitz übernehmen wird.
Die spanische Ratspräsidentschaft musste sich vor allem um die Wirtschafts- und Finanzkrise kümmern, Belgien will nun die politischen Kräfte darauf konzentrieren, dass die Wirtschaftsführung in den EU-Mitgliedstaaten verbessert und das Wachstum in der EU wieder angekurbelt wird. Der Vertrag von Lissabon bietet hierfür die Möglichkeiten und Instrumente.
Die belgische Ratspräsidentschaft will sich um die Schaffung einer neuen Struktur zur Regulierung und Überwachung des Finanzsektors bemühen und ihre besondere Aufmerksamkeit auf Gesetzesinitiativen der Europäischen Kommission zur Stärkung der Mechanism zur Krisenvorbeugung und -lösung , zum Schutz der Sparer und Unternehmen in der EU vor systemischen Finanzinstitutionen mit Liquiditätsproblemen richten. Zu diesem Themenkomplex soll bis zum nächsten Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs im Oktober d.J. die Task Force „Wirtschaftspolitische Steuerung“, die von dem Präsidenten des Europäischen Rates, Herman van Rompuy geleitet wird, Vorschläge vorlegen.
Belgien will die Umsetzung der Strategie Europa 2020 mit ihren Kernzielen konsequent angehen und die Bereiche Forschung, Entwicklung und Innovation mit in den Mittelpunkt ihres sechsmonatigen Vorsitzes stellen. Der Europäische Rat (EU-Staats- und Regierungschefs) wird sich auf seinem nächsten Gipfeltreffen im Oktober 2010 mit Forschung und Innovation beschäftigen. Zuvor müssen Leitlinien für eine bessere Koordinierung der Politik der Mitgliedstaaten untereinander definiert werden. Die belgische Präsidentschaft wird daher die Definition von Indikatoren angehen, die die entscheidende Zielvorgabe Investition von 3 % des BIP in Forschung und Entwicklung sowie die erzielten Fortschritte bei der Schaffung eines Europäischen Forschungsraums messen können.
Ein weiteres zentrales Thema der belgischen Ratspräsidentschaft wird der Arbeitsmarkt sein; hier geht es vor allem um die Frage der Schaffung neuer Arbeitsplätze im sog. grünen (Umwelt) und weißen Bereich (Gesundheitssektor), aber auch um den Kampf gegen die Diskriminierung am Arbeitsplatz und die Förderung gleicher Bezahlung von Frauen und Männern. Zu diesem Schwerpunkt zählt ebenfalls die geplante Annahme der sog. Beschäftigungspolitischen Leitlinien.
Im Zusammenhang mit dem am 09. Mai d.J. vorgelegten Monti-Berichts (früherer EU-Kommissar für Wettbewerb) will der belgische Ratsvorsitz die eingeleiteten Arbeiten im Hinblick auf die Engpässe bzw. fehlenden Glieder des EU-Binnenmarktes fortsetzen; hierzu gehören die Hindernisse für den Schutz innovativer Ideen, der Schutz des geistigen Eigentums und die Fortsetzung der Verhandlungen um das europäische Patent.
Belgien will ferner im Zusammenhang mit der Umsetzung der Strategie Europa 2020 eine nachhaltige Industriepolitik fördern, mit dem Hauptziel der Entwicklung einer grünen und wettbewerbsfähigen europäischen Wirtschaft. Dabei unterstützt die belgische Regierung einen integrierten Ansatz der den Innovationsbegriff weit auslegt und hauptsächlich auf die Bedürfnisse von Unternehmen, insbesondere der KMU´s, ausgerichtet ist.
Vor dem Hintergrund des gerade laufenden Europäischen Jahres der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ist für die belgische Ratspräsidentschaft auch der soziale Fortschritt in der Union der 27 Mitgliedstaaten wichtig („Dies ist der eigentliche Geist unseres europäischen Modells“). Sie will daher den Zugang zu Beschäftigung verbessern und Überlegungen zur Stärkung des Sozialschutzes anstoßen. Im Rahmen der Sozialagenda und der laufenden Strukturreformen wird die belgische Ratspräsidentschaft über die Zielvorgaben und Kontrollindikatoren höhere Sozialstandards unterstützen (z.B. Renten und Gesundheitsversorgung).
Unter Belgiens Vorsitz sollen sich die EU-Mitgliedstaaten mit der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen beschäftigen.
Im Bereich Klimaschutz will Belgien auf Fortschritte in Richtung einer CO2-armen Wirtschaft, konkret dem Abschluss der Klimarahmenkonvention, hinarbeiten, die auf dem kommenden Weltklimagipfel im mexikanischen Cancún im November d..J. verabschiedet werden soll. In diesem Zusammenhang will sie auch eine entsprechende Verbindung zu den neuen Zielen der europäischen Energie- und Verkehrspolitik herstellen, um den Wandel zu einer grünen Wirtschaft anzustoßen; so soll die Arbeit für eine Einigung über eine europäische Gesetzgebung fortgesetzt werden, die es den EU-Mitgliedstaaten ermöglicht, sich die durch den Straßenverkehr verursachten externen Kosten von den Straßenbenutzern zurückzuholen.
Für Belgien ist von großer Wichtigkeit, den BürgerInnen deutlich zu machen, dass sie sich im gesamten Gebiet der Europäischen Union frei und sicher bewegen und leben können und ihre Grundfreiheiten gesichert sind. Im Rahmen des von der Europäischen Kommission formulierten Mehrjahresprogramms von Stockholm (2012-2014) will der belgische Ratsvorsitz schwerpunktmäßig die Themen einheitliches Asylverfahren, einheitlicher Schutzstatus, Kampf gegen den Terrorismus, die organisierte Kriminalität und die illegale Einwanderung sowie den Menschenhandel in den Mittelpunkt seiner Bemühungen stellen. Gleichzeitig soll die legale Migration thematisiert werden.
Die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen wird das zentrale Element des Programms der belgischen Ratspräsidentschaft im Bereich der Justiz sein.
Auch will die belgische Ratspräsidentschaft das mit dem Vertrag von Lissabon geschaffene Instrument der Bürgerinitiative, mit dem 1 Mio BürgerInnen aus mehreren Mitgliedstaaten der EU die Europäische Kommission auffordern können, eine Gesetzesinitiative zu ergreifen, weiter bearbeiten (ein erster Vorschlag der Europäischen Kommission liegt vor).
In der Außenpolitik will Belgien den Erweiterungsprozess fortsetzen, d.h. die Verhandlungen mit Kroatien könnten in die letzte Phase gehen, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollen fortgesetzt, die Beitrittsverhandlungen mit Island können nach dem positiven Entscheid der Staats- und Regierungschefs vom Juni d.J. eröffnet werden; weiterhin will die belgische Regierung an der Konkretisierung der Annäherung der westlichen Balkanstaaten an die EU arbeiten. Außerdem sind zwei Konferenzen der EU mit Asien und Lateinamerika vorgesehen mit der Absicht, die Zusammenarbeit und die Partnerschaft mit diesen beiden Kontinenten zu vertiefen und die Herausforderungen der Globalisierung gemeinsam anzugehen.
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