Rhein-Kreis Neuss holt den jährlichen Europatag auf Schloß Dyck nach - EU-Klima- und Umweltschutz als Herausforderung für den Strukturwandel im Rheinischen Revier
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Der Rhein-Kreis Neuss begeht jährlich den Europatag im Rahmen der Europawoche zu einem aktuellen EU-Thema. Da seit März 2020 coronabedingt alle Präsenzveranstaltungen ausfallen mussten, lud Landrat Hans-Jürgen Petrauschke jetzt zur Nachholung des Europatages auf Schloß Dyck ein. Die Abendveranstaltung stand ganz unter dem Thema „Klima- und Umweltschutz als Beitrag für einen gelingenden Strukturwandel“ und beleuchtete mit den eingeladenen Referentinnen und Referenten die Herausforderung des Strukturwandels im Rheinischen Braunkohlenrevier, mit den Vorgaben des European Green Deal einen wirtschaftlich und gesellschaftlich machbaren Wandel für die Region erreichen zu können.
Petrauschke freute sich nach seinen Worten, „an einem besonderen Ort mit europäischer Geschichte“ die zahlreichen Gäste des Abends begrüßen zu können. Denn auf Schloß Dyck sei auch schon vor geraumer Zeit europäische Geschichte geschrieben worden, schließlich sei der frühere Schloßherr Fürst und Pflanzenfreund gewesen und habe mit seiner Frau aus Paris preußische Traditionen gepflegt.
Zum aktuellen Thema verwies Petrauschke darauf, dass der Wirtschaft in der Zukunft schwierige Zeiten bevorstünden, weil der anstehende Strukturwandel mit dem Klima- und Umweltschutz verbunden werden müsse. Im Jahr 2038 würden alle Kohlekraftwerke abgeschaltet und dann stelle sich die Frage, wie es auf Dauer gelingen könne, wettbewerbsfähige Energie zu sichern. In diesem Zusammenhang machte Petrauschke darauf aufmerksam, dass der Rhein-Kreis Neuss und das Rheinische Revier für den Strukturwandel ausreichend gerüstet seien, so gebe es genügend Gewerbeflächen, eine ausbaufähige Infrastruktur, einen kommenden flächendeckenden Ausbau von 5G; insgesamt stehe die Region vor besonderen Herausforderungen, verfüge aber auch über besondere Chancen, daher sei die Attraktivität des Rheinischen Reviers gesichert. Hinsichtlich des Ziels der EU, Europa bis 2050 zu einem klimaneutralen Kontinent zu machen und gleichzeitig den notwendigen Strukturwandel zu unterstützen, stehe der Rhein-Kreis Neuss im Gespräch mit der EU über infrage kommende Unterstützungsinstrumente, wie den Fonds für einen gerechten Übergang, und arbeite bereits mit den Nachbarstädten Düsseldorf, Duisburg und Wuppertal an einer Modellregion Wasserstoffmobilität. Gleichzeitig setze der Rhein-Kreis Neuss mit Hilfe des entsprechenden Bundes- und Landesprogramms die Digitalisierung seines Kreisgebietes um, das auch die Schulen miteinschließe.
Zum Abschluß seiner Begrüßung wies Petrauschke aber auch daraufhin, dass die kommenden Herausforderungen auch die Wirtschaft und die Unternehmen selbst fordere, d.h. auch, es sei in Zukunft Risikobereitschaft und Gründergeist gefragt, denn nicht alle Probleme seien mit staatlicher Unterstützung zu bewältigen. Der Rhein-Kreis Neuss sei hier auf einem guten Weg und wolle nach der Coronazeit, wie Europa auch, an alte Stärken anknüpfen. Schließlich sei die heutige Abendveranstaltung vom Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales des Landes NRW ausgezeichnet worden, was ihn zusätzlich optimistisch mache.
In ihrem anschließenden Grußwort begrüßte Judith Schilling, stellvertretende Leiterin der Regionalvertretung der Europäischen Kommission in Bonn, die Besucher/innen und berichtete, dass die Vertretung für vier Bundesländer (neben NRW, Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland) zuständig sei und 30 Mio. Bürger/innen in diesem Einzugsbereich lebten. Aufgrund dieser Dimensionen könnten nie alle Bürger/innen erreicht werden, daher gehe sie gerne zu Veranstaltungen der Europe Direct Informationszentren, die im Auftrag der Europäischen Kommission die Bürger/innen über alle Fragen zur Europäischen Einigung informierten und sie sei gerne zu Gast beim EDIC in Neuss. Zum Thema des Abends erläuterte Frau Schilling noch einmal den ehrgeizigen Plan, Europa bis 2050 zu einem klimaneutralen Kontinent zu machen, d.h. den CO2-Ausstoß auf null zu reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, habe die Europäische Kommission den European Green Deal als zentrales Thema ihrer Amtszeit ausgerufen und zur Umsetzung im März 2020 das EU-Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht. Zur Umsetzung bedürfe es neuer Technologien und weitreichender Innovationen. Die Frage stelle sich, wie diese Herausforderung zusammen mit der Coronakrise zu bewältigen sei. Die EU habe früh reagiert und einen Europäischen Aufbaufonds (NextGenerationEU) auf den Weg gebracht, der finanzielle Unterstützung für die Schadensbehebung und die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft bereitstelle. Zusätzlich werde seit einer Woche in Brüssel wieder im Trilogverfahren über den neuen Mehrjährigen Finanzrahmen (siebenjähriger EU-Haushalt 2021 – 2027) verhandelt und die frohe Botschaft sei, dass es keine Reduzierung der von den Staats- und Regierungschefs bestimmten Finanzmittel für die Bereiche Klima und Umwelt geben werde. Es komme bei der zukünftigen Umsetzung auf den guten Willen aller Ebenen, auch der einzelnen EU-Mitgliedstaaten, an; für das Rheinische Braunkohlenrevier sehe sie eine gute Zukunft, den Strukturwandel zu schaffen, die 83 Zukunftsprojekte die alle Akteure zur Bewältigung des ökologischen und ökonomischen Wandel in der Region beschlossen hätten, seien ein deutliches Zeichen für die Zukunftsfähigkeit der Region. Zusätzlich verwies sie auf den EU-Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Fund), der Projekte für den klimaneutralen Wandel unterstützen werde und auf ergänzende EFRE- und ESF-Mittel, die die Umstellung auf neue Arbeitsplätze finanziell unterstützen sollen. Zum Abschluß verwies sie wie Landrat Petrauschke auf die notwendige Eigeninitiative für die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft.
In seinem Impulsvortrag referierte Kreisdirektor Dirk Brügge über die Herausforderungen und Lösungsansätze des Rheinischen Reviers für den anstehenden Strukturwandel. Da er selber Vorsitzender des Revierknotens Verkehr und Mobilität sei, habe er einen guten Überblick über die derzeitige Ausgangslage im Rheinischen Revier. Trotz der absehbaren Schließung der Kohlekraftwerke müsse die Region Energiestandort bleiben und Energie müsse zu wettbewerbsfähigen Preisen erhalten bleiben, sonst werde die Industrie abwandern. Daher seien erhebliche Anstrengungen zur Sicher- bzw. Herstellung der Energieversorgung erforderlich, in diesem Zusammenhang verwies er auf die Diskussion um den Konverter, der für den Bau einer Nord-Süd-Leitung entscheidend sei. Mit der zugesagten finanziellen Unterstützung von Bund und Land NRW in Höhe von insgesamt 40 Mrd. Euro könne der Strukturwandel in den Kohleregionen gestaltet werden, ferner sei eine Bund-Länder-Einigung mit Verfahrensvereinfachungen in Arbeit. Mit der Zukunftsagentur Rheinisches Revier seien im Rahmen des SofortprogrammPlus 83 Projekte für die Region zur Bewältigung des Wandels konzipiert worden, z.B. klimaneutrale Investitionen in Wohn- und Gewerbegebiete, neue und klimaneutrale Verkehrskonzepte; 19 Projekte seien bisher mit zwei Sternen ausgezeichnet worden, darunter auch Projekte des Rhein-Kreises Neuss, d.h. diese Vorhaben hätten gute Aussichten auf eine finanzielle Förderung. Zu den Vorzeigeprojekten des Rhein-Kreises Neuss gehörten u.a. Alu-Valley 4.0 Rheinisches Revier, Ausarbeitung revierweites Radverkehrskonzept, Campus Changeneering, Reviermanagement Gigabit und Modellregion Gigabit, 5G und Autonomes Fahren.
Zusammenfassend könne festgehalten werden, dass Verwaltung und Wirtschaft gemeinsame Anstrengungen für den erfolgreichen Strukturwandel unternehmen müssten, hier sei allerdings auch eine passende Beihilfepolitik der EU notwendig.
Im abschließenden Vortrag referierte Professor Ulrich Brückner vom Team Europe Deutschland über den European Green Deal und die vorgesehenen Unterstützungsinstrumente der EU. Zu Beginn betonte er seinen Dank und seine Freude über die Einladung, da der heutige Abend seine erste Präsenzveranstaltung seit langer Zeit sei. Er sei für die Außenstelle der Stanford-Universität in Berlin tätig, aber zur Zeit in Griechenland beheimatet, wo die Coronakrise andere Ausmaße habe als in anderen EU-Mitgliedstaaten. Allgemein könne festgestellt werden, dass die Pandemie schwere wirtschaftliche Schäden angerichtet habe, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Am Anfang seiner Ausführungen machte Professor Brückner die Dimensionen deutlich, mit der die EU finanzielle Unterstützung für die Bewältigung der Coronapandemie und die Umstellung auf einen klimaneutralen Kontinent gewährt; mit insgesamt 1,823 Mrd. Euro für den Europäischen Aufbauplan und den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU wolle die Europäische Kommission die Zukunftsthemen anschieben, denn ohne Erhaltung der Lebensgrundlagen sei eine Erholung der Wirtschaft und Wachstum in der Zukunft nicht möglich. Es gehe um die Sicherstellung der Kohäsion in einer Solidaritätsgemeinschaft, darauf begründe sich die Merkel-Macron-Initiative über 500 Mrd. Euro Finanzunterstützung, die dann von der von der Leyen-Kommission noch einmal um 250 Mrd. auf 750 Mrd. Euro erhöht worden sei, um der Dramatik der Krise gerecht werden zu können. Auf ihrem Gipfeltreffen in Brüssel hätten sich dann die Staats- und Regierungschefs auf den Europäischen Aufbauplan und den Mehrjährigen Finanzrahmen geeinigt. Das Hauptthema des European Green Deal sei die Finanzierung der ökologischen Wende bis 2050, dabei sei erklärtes Ziel, dass keine Region und keiner zurückgelassen wird.
Für die Kohleregionen habe die Europäische Kommission bereits im Januar 2020 den Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Fund = JTF) vorgesehen, der nach einer ersten Konzeption mit 40 Mrd. Euro ausgestattet werden sollte, jedoch nach dem Beschluss der Staats- und Regierungschefs auf 17,5 Mrd. Euro reduziert wurde. Nach Informationen des Bundeswirtschaftsministeriums solle Deutschland 2 Mrd. Euro aus dem JTF erhalten, wobei die Verteilung auf die einzelnen Bundesländer und Regionen noch nicht feststehe. Auf jeden Fall sei aber der Rhein-Kreis Neuss Zielgebiet und werde Finanzmittel aus dem Fonds erhalten. Nach den Plänen der Europäischen Kommission solle der JTF mit EFRE- und ESF-Mitteln ergänzt werden, um kombinierte Projekte einschließlich Umschulung bzw. Weiterqualifizierung von Arbeitnehmer/innen finanzieren zu können.
Entgegen diesen gerade vorgestellten Plänen gebe es allerdings ganz aktuell Informationen über einen Koalitionsbeschluss der das gerade gezeichnete Szenario vollständig ändere, danach würde der Bund die 2 Mrd. Euro in das Budget für die Unterstützung gemäß des Strukturstärkungsgesetzes eingliedern, was bedeuten würde, dass die ursprünglich vorgesehenen ergänzenden EFRE- und ESF-Finanzmittel entfallen würden. Herr Professor Brückner schlug daher vor, entsprechende Lobbyingkanäle zu nutzen, um hier eine evtl. Änderung der Entscheidung zu erreichen.
Im Zusammenhang mit dem JTF verwies Herr Professor Brückner darauf, dass der European Green Deal und die Digitalisierung zusammen gehörten und das EU-Programm Horizont Europa das größte Förderinstrument für die finanzielle Unterstützung von (technischen) Innovationen in allen Zukunftsbereichen sei. Im Hinblick auf weitere,für die Region interessante EU-Förderungen, empfahl Herr Professor Brückner das Europe Direct Informationszentrum Mittlerer Niederrhein im Kreishaus Neuss zu kontaktieren, das für Information und Beratung gerne zur Verfügung stehe. Es sei Aufgabe der Europe Direct Informationszentren, Informationen und Auskünfte zu Fragen und Anliegen im Zusammenhang mit der Europäischen Einigung und dem EU-Binnenmarkt zu geben.
In der sich anschließenden Diskussion um das Thema Fördermittel von EU, Bund und Land NRW empfahl Landrat Petrauschke nicht nur auf finanzielle Unterstützung zu hoffen, entscheidend seien Wirtschaftskraft und Steuern, um Bewegungsfreiheit zu behalten. Außerdem müssten Gewerbeflächen und landwirtschaftlich nutzbare Flächen vorhanden sein. Frau Patrizia Voeltz von Fridays for Future Neuss wies auf den schwierigen Widerspruch zwischen der notwendigen CO2-Reduzierung und dem Anspruch auf sichere Energie hin, schließlich sei ohne Umwelt kein Wirtschaften möglich. Allerdings sei für eine sichere Energieversorgung die Gewinnung von Energie aus regenerativen Energien zur Zeit nicht ausreichend. Herr Lars Friedrich von Currenta, Leiter CHEMPARK & Sicherheit, betonte, dass in der Industrie der Energiewandel nicht umstritten sei, man erwarte aber einen stabilisierenden Übergang, vor allem gehe es darum, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Er plädierte dafür, die Industrie stark und das Rheinische Revier zu einer Musterregion zu machen, dafür sei die Schaffung von zentraler Infrastruktur bei Kostenteilung notwendig, außerdem fehlten den Kommunen Gewerbeflächen. Daher plädierte Herr Friedrich für eine strukturübergreifende zentrale Bündelung, die sich der genannten Herausforderungen annehme. Was die Sorge um eine ausreichende Energieversorgung angeht, plädierte Herr Friedrich für die Entwicklung einer Brückentechnologie.
Der Abend endete mit der Bildung kleinerer Diskussionsrunden zum Thema des Abends.
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