Die Eurozone kann nur mit Solidität und Solidarität weiterhin stabil bleiben
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Die Stichworte Solidität und Solidarität waren die am häufigsten genannten Stichworte in den Vorträgen und der anschließenden Diskussionsrunde im Rahmen der Veranstaltung "Erfolge und Aussichten des Euro", zu der Landrat Petrauschke in die Sparkasse Neuss eingeladen hatte. Die Moderatorin, Silke Wettach, von der Wirtschaftswoche in Brüssel wies zu Beginn auf die Aktualität der Veranstaltung hin, denn gerade an diesem Abend hatte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz bei einem Treffen der Euro-Finanzminister das seit langem umstrittene Vorhaben der Einführung einer Einlagensicherung wieder zum Thema gemacht.
Dr. Volker Gärtner, vom Vorstand der Sparkasse Neuss, verwies in seiner Begrüßung der Gäste darauf, dass dieser Vorschlag auch schon von der zukünftigen Kommissionspräsidentin gemacht worden sei. Für die Sparkassen sei ein Einlagensicherungssystem erst dann eine denkbare Einrichtung, wenn die Bankenbilanzen in den Euroländern bereinigt seien, ohne diese Vorbedingung bestehe die Gefahr der Haftung der wirtschaftsstarken Euroländer. Gleichzeitig unterstützte er den Vorschlag des französischen Präsidenten Macron, der die 3% Schuldenregel für zu starr halte, weil es ein Hindernis für die Steigerung von Investitionen sei.
Dr. Stefan Berger, Europaabgeordneter für die Region Niederrhein machte zu Beginn seines Vortrags deutlich, dass die politischen wie ökonomischen Probleme in Europa nicht mehr durch einzelne Staaten zu lösen seien. Im Gegenüber von China, den USA und Rußland müsse sich die EU zukünftig sehr viel stärker außenpolitisch als starke Einheit aufstellen, um ihre Interessen und ihren Einfluss zu wahren.
Dem Euro bescheinigte Dr. Berger eine erfolgreiche Entwicklung, so sei die Inflationsrate in Deutschland unter dem Euro seit seiner Einführung deutlich niedriger als unter der D-Mark gewesen. Angesichts der anwachsenden Herausforderungen der Globalisierung halte er Bankenfusionen für unausweichlich und verwies darauf, dass es in den USA nur 9 große Banken gebe, in Europa 3000. Die Debatte um die Einlagensicherung sei im Zuge der Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion richtig und wichtig; gleichzeitig machte er deutlich, dass aus seiner Sicht, die dafür notwendigen Bedingungen nicht erfüllt seien; so gebe es keine einheitliche Steuer- und Finanzpolitik, die Wirtschaftskraft sei unter den Euroländern unterschiedlich stark verteilt und viele Anleihen der Banken ungesichert. Ein Einlagensicherungssystem könne nur unter "vernünftigen ökonomischen Bedingungen " eingeführt werden.
Landrat Hans-Jürgen Petrauschke begrüßte die 80 Gäste im "Forum" der Sparkasse Neuss herzlich und dankte Herrn Dr. Gärtner für die erneute Gastfreundschaft. Zu dem schwierigen Thema des heutigen Abends verwies er darauf, dass es generell zu vielen EU-Themen Kritik gebe, ohne dass aber Vorschläge für eine bessere Realisierung gemacht würden. Der Euro sei in 19 EU-Mitgliedstaaten Zahlungsmittel für 340 Mio. Bürger/innen, die Weiterentwicklung der Bankenunion mit einer Einlagensicherung sei eine Frage der Solidität und Solidarität.
Der Leiter der Regionalen Vertretung der Europäischen Kommission Bonn, Jochen Pöttgen, begann seinen Vortrag mit der Vorstellung der Erfolgsbilanz der Europäischen Kommission unter Jean-Claude Juncker. So habe das Wachstum in der EU und im Euroraum in den letzten Jahren bei 2% gelegen, alle 28 EU-Mitgliedstaaten verzeichneten in 2018 ein positives Wachstum und würden trotz der evtl. weltwirtschaftlichen Herausforderungen auch in 2019 und in 2020 wachsen. Die Arbeitslosigkeit sei EU-weit auf dem niedrigsten Stand seit Anfang des Jahrhunderts (trotz zu hoher Werte in einigen Mitgliedstaaten) und die Beschäftigung mit 240 Mio. Arbeitnehmern in der EU auf einem neuen Höchststand. Und schließlich sei das öffentliche Defizit in der EU seit 2009 von 6,6% auf 0,6% in 2018 gesunken.
Dennoch kämen viele Herausforderungen auf die neue Kommission unter der deutschen Präsidentin, Ursula von der Leyen zu. Das Wissen darum spiegele sich in den sechs Prioritäten für die Zukunft Europas wieder, die die zukünftige Präsidentin der Europäischen Kommission in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament am 16.07.2019 skizziert hatte. Diese seien: 1. Ein europäischer Green Deal unter dem jetzigen und neuen Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Frans Timmermanns, mit dem Ziel, das Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werde; dafür solle die Europäische Investitionsbank in Zukunft verstärkt Umweltprojekte finanzieren, 2. eine Wirtschaft im Dienste der Menschen, mit dem Ziel, die großen digitalen Unternehmen überall in der EU gleich zu besteuern und die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion voran zu bringen, 3. ein Europa für das digitale Zeitalter, das von der jetzigen Wettbewerbskommissarin Vestager verantwortet werde; in diesem Zusammenhang betonte Pöttgen, dass Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern im großen Nachteil sei und Handlungsbedarf habe. 4. Europas way of life schützen mit dem Themen Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und starken Schutz der Außengrenzen, 5. ein stärkeres Europa in der Welt mit einer aktiven Außenpolitik, einer umfassenden Strategie für Afríka und der Fortführung der Schaffung einer Verteidigungsunion und schließlich, 6. der Demokratie in Europa neuen Schwung zu geben; hierzu werde es in 2020 in allen EU-Mitgliedstaaten Bürgerforen zur Zukunft Europas geben, um von den Bürger/innen zu erfahren, welche Erwartungen, Kritiken und Vorschläge sie zu den verschiedenen EU-Politiken und der Weiterentwicklung der EU insgesamt haben.
Zur Verhandlung über den neuen Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 - 2027 sagte Pöttgen, dass die Höhe der Finanzmittel zwischen den EU-Mitgliedstaaten strittig sei; so habe die Europäische Kommission vorgeschlagen, für die kommenden sieben Jahre 1,11% des BIP der EU zu veranschlagen, da viele neue Aufgaben auf die EU zukommen würden. Daher habe man auch vorgeschlagen die Unterstützung für die Landwirtschaft und die Kohäsion zu kürzen und mehr Finanzmittel für die Förderung der Jugend und der Forschung auszugeben.
Herr Professor Welfens, Präsident des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen, Wuppertal, bescheinigte der Europäischen Zentralbank mit ihrer Bankenaufsicht hohe Glaubwürdigkeit, weil sie über eine professionelle Analyseabteilung verfüge. Unter der neuen Präsidentin werde es keine Änderung der 0-Zinspolitik geben und es stelle sich daher die Frage, welche Vorteile diese Politik habe; dies seien größere und liquidere Anleihemärkte und geringere Transaktionskosten für Unternehmen und Banken. Der Euro sei eine Anlagewährung für viele andere Länder in der Welt. Die Abstimmung der zukünftigen Finanzpolitik sei eine große Herausforderung, denn der Brexit werde Probleme bringen, weil dann das größte Finanzzentrum für Unternehmen in den EU-Ländern wegfalle. Als Probleme der Eurozone nannte Welfens das Verhältnis von Staatsschulden zu Nationaleinkommen. Die in vielen EU-Ländern zu geringe Investitionsrate verhindere Wachstum. Ein Einlagensicherungssystem sei erst dann "ungefährlich", wenn die Bankenunion vollendet sei und funktioniere, vorher bestehe die Gefahr der Schuldenübernahme durch die starken Euroländer. Bei einer vernünftigen Realisierung sehe er die Chance, dass sich der Zinsdruck für einige Euroländerverringere.
In der anschließenden Diskussion brachte Dr. Gärtner seine Sorge zum Ausdruck, dass die anhaltende Niedrigzinspolitik zum Problem für die Sparkassen und Banken werde, da frühere Einnahmequellen wegfallen würden; da die Bürger/innen mit der 0-Zinspolitik keine Ersparnisse aufbauen könnten, sei die Niedrigzinspolitik auch sozial als strittig anzusehen. Andererseits bringe die 0-Zinspolitik auch den Sparkassen ein gutes Kreditgeschäft, bedeute aber gleichzeitig eine Gefahr, dass bei einer Konjunkturdelle die Kredite ausfallen würden. Daher müsste sich der Bankensektor nach neuen Geschäftsfeldern umsehen. Ein Einlagensicherungssystemsehe er positiv, wenn die Euroländer und ihre Banken ihre Bilanzen ausgeglichen hätten. Generell plädiere er in dieser außergewöhnlichen Situation für den Mut zu gemeinsam abgestimmten Reformen.
Landrat Petrauschke betonte, dass die Niedrigzinspolitik für die Eurostaaten und die Kommunen nicht schlecht sei, da sie mit den niedrigen Zinsen investieren und Zinsen sparen könnten. Was die Einlagensicherung angehe, sehe er die Notwendigkeit von Solidarität und plädiere daher für ein ausgewogenes System von Geben und Nehmen. In diesem Zusammenhang erinnerte er an den seinerzeitigen Marshall-Plan, ohne den u.a. Deutschland den ökonomischen Aufschwung nach dem 2. Weltkrieg nicht geschafft hätte. Für das ehrgeizige Vorhaben müssten die ökonomischen Rahmenbedingungen gestärkt werden.
Herr Professor Welfens wiederholte noch einmal seine Annahme, dass die Zinspolitik sich unter der neuen EZB-Präsidentin Lagarde nicht ändern werde. Im Übrigen verwies er darauf, dass die EZB über viele Jahre "überfordert" gewesen sei, weil sie die schwierigen Hausaufgaben der Euroländer während der Staatsschuldenkrise habe übernehmen müssen. Für eine erfolgreiche Zukunft der Euroländer seien gute Ideen für die Umsetzung einer gemeinsamen soliden Finanzpolitik gefragt. Auf jeden Fall brauche die Eurozone für die demokratische Absicherung ein Europarlament. Die neue Europäische Kommission müsse hier die Initiative übernehmen.
Herr Dr. Berger nannte die 0-Zinspolitik ein Problem für die Politik, da sie Investitionen und damit Wachstum aufhielte. Der Euro brauche für die Zukunft neue Impulse und verwies auf das geplante Eurozonenbudget für die neue Finanzperiode 2021 - 2027. Gleichzeitig bedürfe es einer EU-weiten Steuerharmonisierung, für einen europäischen Finanzminister, wie vom französischen Präsidenten Macron vorgeschlagen, sehe er aber zur Zeit keine Chance. Vor diesem Hintergrund seien insgesamt die Erwartungen an die neue Kommissionspräsidentin hoch, dass entsprechende Initiativen zu einer Investitionssteigerung in der EU führten; als Beispiele für Investitionsfelder nannte Dr. Berger die Bereiche Forschung und Entwicklung und die Verteidigung.
Herr Pöttgen plädierte in der Diskussion für eine ausgewogene Balance zwischen Sparen und Investitionen, und bedauerte in diesem Zusammenhang das risikoarme Denken in Deutschland. Im Hinblick auf den Vorschlag für einen europäischen Finanzminister verwies er auf die bisher fehlende Einigung der Eurofinanzminister. Alternativ sei es auch möglich, den Vorsitzenden der Eurogruppe mit zusätzlichen Kompetenzen auszustatten. Der weiterhin zunehmende Druck der Globalisierung mache eine größere Internationalisierung des Euro notwendig, hier müssten die Finanzminister entsprechende Vorschläge ausarbeiten. In Ergänzung hierzu müsse die neue Europäische Kommission Vorschläge für eine bessere wirtschaftspolitische Koordinierung der EU-Mitgliedstaaten untereinander machen. Ganz allgemein sei auch der Aufbau einer transeuropäischen Infrastruktur für den wirtschaftlichen Erfolg der EU in der Zukunft notwendig. Im Übrigen müssten die Impulse für Veränderungen von den EU-Mitgliedstaaten selbst kommen.
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