EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger stellt Reflexionspapier zur Zukunft der EU-Finanzen vor und eröffnet Debatte um Sicherung von Haushaltsmitteln
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Am 28. Juni 2017 hat der für den EU-Haushalt und Personal zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger das von der Europäischen Kommission angekündigte Reflexionspapier zur Zukunft der EU-Finanzen vorgestellt.
Das Papier richtet sich dabei an den fünf Zukunftsszenarien aus, die das Weißbuch der Europäischen Kommission für die weitere Entwicklung der EU erstellt hat (weitermachen wie bisher, weniger gemeinsames Handeln, einige Mitgliedstaaten tun mehr,weniger Handlungsbereiche aber effizienter, engeres Zusammenrücken der EU-Mitgliedstaaten auf wichtigen Gebieten) und hat jeder Option ein eigenes Finanzierungsszenario zugeordnet, mit unterschiedlichen Auswirkungen sowohl in Bezug auf die Höhe und den Zweck der Ausgaben als auch woher die Finanzmittel kommen könnten. Die Optionen gehen daher von einer Kürzung der Ausgaben für bestehende politische Maßnahmen bis zu einer Erhöhung der Einnahmen.
Dabei muss die Finanzplanung nach Erläuterung von Oettinger vor dem Hintergrund des wahrscheinlichen Austritts Großbritanniens aus der EU gesehen und konzipiert werden, d.h. es fehlen nicht nur diese Einnahmen (nach Berechnungen der Europäischen Kommission fehlen dann jährlich 10 - 11 Mrd. €), sondern auch weitere Finanzmittel, weil unabdingbar neue Aufgaben auf die EU zukommen werden. Zu den zentralen Aufgabengebieten, die zukünftig von einem EU-Haushalt abgedeckt werden müssen (also zurzeit noch nicht sind), führte Oettinger eine gemeinsame Verteidigungspolitik, die Sicherung der Außengrenzen, die Migrations- und Flüchtlingspolitik, die Entwicklungshilfe zur Beseitigung von Fluchtursachen sowie die gesamten Fragen der Sicherheit (Cybersicherheit und Terrorismusbekämpfung) an. Nach Oettingers Einschätzung werden Kürzungen und Umschichtungen notwendig werden, um die neuen Aufgaben zu finanzieren, doch seien auch neue Einnahmen erforderlich ("zuallererst frisches Geld"). In diesem Zusammenhang müssten die EU-Mitgliedstaaten sich die Frage stellen, was Ihnen die EU und gemeinsames Handeln wert sei. Dabei ist der deutsche EU-Kommissar der Ansicht, dass gemeinsames Handeln in vielen Bereichen besser und auch finanziell günstiger ist, und nennt als Beispiele die Verteidigung, die Agrarpolitik, die Anschaffung von "Supercomputern" oder den Bau grenzüberschreitender Eisenbahnen.
"Wenn Europa neue Herausforderungen bewältigen soll, muss das Geld dafür irgendwo herkommen. Wir können entweder weniger ausgeben oder neue Einnahmequellen erschließen".... "Aber was wir auch tun, jeder aus dem EU-haushalt investierte Euro muss einen zusätzlichen Nutzen erbringen und sich positiv auf das tägliche Leben der Menschen auswirken", erläuterte Oettinger die schwierige Situation. In diesem Zusammenhang machte er deutlich, dass der EU-Haushalt einfacher und flexibler werden müsse, und führte als Beispiel die Abschaffung aller Nachlässe auf Einzahlungen an (z.B. sog. Britenrabatt"). Zusätzlich kündigte Oettinger an, müssten sich alle Haushaltsposten einer Überprüfung stellen was ihren europäischen Mehrwert angehe. So will die Europäische Kommission eine Diskussion darüber führen, ob Agrar-Direktbeihilfen für große Betriebe oder solche in günstigen Lagen gekürzt oder ob Agrarbeihilfen aus nationalen Haushalten mitfinanziert werden sollen; eine stärkere Ko-Finanzierung strebt der Europäischen Kommission auch bei der Regional- und Kohäsionsförderung vor. Weitere Grundsatzfragen seien die mögliche Einrichtung eines eigenen Eurozonenhaushalts, die bereits des Öfteren geforderte Arbeitslosenrückversicherung oder auch ein Fonds zur Unterstützung von nationalen Strukturreformen.
Mitte 2018 will die Europäische Kommission auf dieser Basis ihren Vorschlag für den nächsten Mittelfristigen Finanzrahmen (ab 2021) vorlegen und möchte bis dahin eine Grundsatzdebatte über die künftigen Politik- und Finanzfragen der EU führen, an der sich die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament, die Sozialpartner und die Bürgerinnen und Bürger beteiligen sollen. Im Mehrjährigen Finanzrahmen werden die Höchstbeträge für einzelne Politikbereiche (wie z.B. die Regionalpolitik) über den gesamten (bisher siebenjährigen) Zeitraum und auf die einzelnen Jahre festgelegt. Um die aufgeworfenen Fragen zu debattieren, soll es in den kommenden Monaten eine Reihe öffentlicher Veranstaltungen geben.
In dem Reflexionspapier werden aber auch noch weitere Punkte angesprochen, die in den kommenden Monaten diskutiert werden sollen, wie z.B. ob die Auszahlung von EU-Finanzmitteln stärker an die Befolgung gemeinsamer wirtschaftspolitischer Zielvorgaben gekoppelt werden sollten, wie sie im Europäischen Semester festgelegt sind; dagegen deutete Oettinger an, dass er für eine stärkere Verknüpfung von Investitionsförderung mit den länderspezifischen Empfehlungen für die Wirtschaftspolitik offen sei.
Hintergrund:
Der EU-Haushalt wird zurzeit zu 70 Prozent von Einzahlungen der EU-Mitgliedstaaten finanziert. Diese setzen sich wie folgt zusammen (Zahlen aus dem Haushaltsjahr 2014).
- Einnahmen durch Zölle und Abgaben: 16,455 Mrd. € = 11,4% (Die EU-Mitgliedstaaten behalten 25% als Erhebungskosten ein, seit 2014 20%)
- Überschüsse: 1,005 Mrd. € = 0,7%, z.B. aus dem Vorjahreshaushalt oder aus verschiedenen EU-Fonds
- Sonstige Einkünfte: 9,973 Mrd. € = 6,9%, dies sind Steuern von EU-Bediensteten, Beiträge von Drittstaaten zu EU-Förderprogrammen, Geldbußen (z.B. Kartellstrafen)
- Mehrwertsteuer: 17,667 Mrd. € = 12,3% (das sind jeweils 0,3% der harmonisierten MwST.-Bemessungsgrundlage jedes EU-Mitgliedstaats; einige Länder erhalten Rabatte).
Die Diskussionen um alternative und neue Finanzierungsquellen laufen seit Jahren; eine Expertengruppe hatte im Auftrag der Europäischen Kommission unter Vorsitz des früheren italienischen Premierministers und ehemaligen EU-Kommissars Mario Monti seit 2014 bereits verschiedene Vorschläge gemacht, die zwar diskutiert aber nie einen großen Zuspruch fanden; dazu gehörten z.B. die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, eine Energiesteuer, eine Kraftstoffsteuer und Umweltsteuern aus dem CO2-Handel bzw. möglichen CO2-basierten Einfuhrabgaben. Zur Klarstellung sagte Oettinger zu den Diskussionen: "Wir streben keine EU-Steuern an, aber eine Beteiligung an bestehenden Steuern sei eine Option für die EU, besonders, wenn die Einnahmen durch EU-Regulierung entstünden, wie beim CO2-Handel.
Quelle und weitere Informationen:
- EU-Aktuell vom 28.06.2017
- EU-Nachrichten Nr. 11/2017
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